Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 290
Materielle Stellung der deutschen Dichter und Schriftsteller* Sigbjörn Obstfelder* (Lindner, Anton)
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Mark); Goethes Erben erhielten überdies (bis |
für die »Braut von Messina« 103 Thaler, 19 Die materielle Lage der Neueren bis auf |
Vor wenigen Tagen, am dreissigsten Juli dieses Jahres, ist SIGBJÖRN
OBSTFELDER in Kopenhagen gestorben. Mit diesem jungen, sympathischen, hoch-
begabten Künstler ist eine starke Hoffnung der neueren nordischen Dichtkunst, die
er in
persönlichster Weise bereichert hat, ganz plötzlich gebrochen worden. Die transcendentale
Art seines Schauens und Gestaltens ist in Aller Gedächtnis, die auch nur eine seiner
kleinen, körperlosen, seltsam verseelten Skizzen gelesen. Seine tonlose Sprache war
wie ein
tiefer Athem ohne Klang. Mit irdischer Schwere hatte er gar nichts gemein. Zu formen
verstand er nicht, wollte es nicht verstehen. Gab gleichsam nur die ätherischen Theile seiner
ungebundenen Seele hin, die erst in den Sinnen der Leser allmählich sich verdichten
sollten. Darum vermochte er lediglich Denen fühlbar zu werden, deren Wesensart der
seinen verschwistert war. Die Meisten aber achteten nicht Seiner, wie man verirrter
Seide nicht achtet, die glitzernd in der Sonne fliegt. Er war von vornherein nicht
für
diesen Alltag bestimmt.
Wir werden von diesem Tod, den ich beklage, zu sprechen haben und auf den
Nachlass des Dichters bald zurückkommen.
Im übrigen vergleiche man die eingehende Würdigung seiner Persönlichkeit in IV, 6
und »Königin«, »Wespe«, »Gattin« in IV, 3, 6 dieser Blätter.
ANT. L.
Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Anton Lindner.
K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 290, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-16_n0290.html)