Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 290

Materielle Stellung der deutschen Dichter und Schriftsteller* Sigbjörn Obstfelder* (Lindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 290

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RUNDSCHAU.

Mark); Goethes Erben erhielten überdies (bis
1865) die Gesammtsumme von 270.944 Gulden
( 464.474 Mark); Goethes Werke ergaben
also in summa ein Gesammthonorar von
504.913 Gulden ( 865.564 Mark). Geradezu
schmählich fielen die Theater-Tantièmen aus;
für Dramen, die vor der Aufführung im Drucke
erschienen waren, erhielt Goethe gar nichts, da
die Bühnen damals keine Verpflichtung hatten,
den Autoren für Theaterstücke, die dem Buch-
handel bereits angehörten, Gebüren zu entrichten.
So wurden »Egmont«, »Tasso« und »Iphigenie«
im Berliner Nationaltheater (Direction Iffland)
völlig tantièmenfrei aufgeführt; für die Bear-
beitung des Voltaire’schen »Mahomet« wurden
dem Dichter 97 Thaler und 12 Groschen, für
»Tancred« 95 Thaler, für die»Natürliche Tochter«
126 Thaler und 16 Groschen gespendet. Dafür
zahlte die Casse des königlichen Hoftheaters
zu Berlin die relativ größten Tantièmen-
summen jener Zeit keinem Geringeren als —
Kotzebue, der in dem Zeitraum von 1790
bis 1810 für 46 Stücke den Gesammtbetrag
von 4279 Thalern, 11 Groschen und 7 Pfennigen
erhielt, wohingegen Schiller (beziehungs-
weise dessen Erben) in dem nämlichen Zeit-
raum und von der nämlichen Casse nur den
vierten Theil dieser Summe bekam, und
zwar: für die ganze »Wallenstein«-Trilogie
60 Friedrichsdors (1020 Mark), für die
»Macbeth«-Bearbeitung 12 Ducaten (108 Mark),
für »Maria Stuart« 36 Ducaten (325 Mark),
für die »Jungfrau von Orleans« 34 Ducaten,
für »Turandot« 145 Thaler und 16 Groschen,

für die »Braut von Messina« 103 Thaler, 19
Groschen. 6 Pfennig, für »Wilhelm Teil«
80 Friedrichsdors (1360 Mark). — Schillers
Monatsgage (als »Medicus ohne Porte-épée«)
betrug 18 Gulden. Die Druckkosten der
»Räuber« (1781) zahlte er aus eigener Tasche.
Für »Fiesco«, der von der Mannheimer
Theater-Intendanz als »nicht brauchbar« retour-
niert wurde, gab ihm ein Buchhändler 11 Louis-
dors. Als a. o. Professor in Jena bezog er gar
kein Gehalt; die Collegiengelder waren
gering. Später bekam er als Hofrath ein
Jahresgehalt von — 200 Thalern. Aus der
bittersten Noth und Krankheit (1790) mussten
ihn dänische Aristokraten retten. Als er nach
Weimar übersiedelte (1799), erhöhte ihm der
Herzog das Gehalt auf 400 Thaler und gewährte
ihm schließlich im Jahre 1804 (elf Monate vor
des Dichters Tode) 800 Thaler. Der chronischen
Geldnoth wurde Schiller lediglich durch Cotta
(1795) entrissen, der mit beträchtlichen Vor-
schüssen nicht kargte (obzwar er damals selbst
kaum mehr als das Nothwendige hatte) und
schon ein Jahr nach Anknüpfung der ersten
Verbindung in einem Verlegerbriefe die
Worte riskierte: Ȇberhaupt rechne ich darauf,
dass Sie in jedem Falle annehmen, offene
Casse bei mir zu haben, ohne mindeste
Rücksicht « In summa hat Cotta an Schiller
und dessen Erben (1795—1833) 275.000 Mark
ausbezahlt

Die materielle Lage der Neueren bis auf
Hauptmann wird im Anschlusse an Kellens
Aufsätze ein nächster Auszug berühren.

Vor wenigen Tagen, am dreissigsten Juli dieses Jahres, ist SIGBJÖRN
OBSTFELDER in Kopenhagen gestorben. Mit diesem jungen, sympathischen, hoch-
begabten Künstler ist eine starke Hoffnung der neueren nordischen Dichtkunst, die er in
persönlichster Weise bereichert hat, ganz plötzlich gebrochen worden. Die transcendentale
Art seines Schauens und Gestaltens ist in Aller Gedächtnis, die auch nur eine seiner
kleinen, körperlosen, seltsam verseelten Skizzen gelesen. Seine tonlose Sprache war wie ein
tiefer Athem ohne Klang. Mit irdischer Schwere hatte er gar nichts gemein. Zu formen
verstand er nicht, wollte es nicht verstehen. Gab gleichsam nur die ätherischen Theile seiner
ungebundenen Seele hin, die erst in den Sinnen der Leser allmählich sich verdichten
sollten. Darum vermochte er lediglich Denen fühlbar zu werden, deren Wesensart der
seinen verschwistert war. Die Meisten aber achteten nicht Seiner, wie man verirrter
Seide nicht achtet, die glitzernd in der Sonne fliegt. Er war von vornherein nicht für
diesen Alltag bestimmt.

Wir werden von diesem Tod, den ich beklage, zu sprechen haben und auf den
Nachlass des Dichters bald zurückkommen.

Im übrigen vergleiche man die eingehende Würdigung seiner Persönlichkeit in IV, 6
und »Königin«, »Wespe«, »Gattin« in IV, 3, 6 dieser Blätter.
ANT. L.


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Anton Lindner.

K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 290, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-16_n0290.html)