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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 291

Text

DER SCHWACHSINN DES WEIBES.
Von EDUARD SOKAL (Berlin).

»Das Weib ist im physiologischen,
normalen Zustande schwachsinnig im Ver-
gleich mit dem Manne.«

Das klingt nun durchaus ungalant,
sozusagen grob, und — ist auch so ge-
meint. Keineswegs von dem unmaß-
geblichen Schreiber dieser Zeilen, aber
ganz entschieden von dem bekannten Neuro-
pathologen P. J. Möbius, der soeben
eine wissenschaftliche Abhandlung über
den »physiologischen Schwachsinn
des Weibes
« veröffentlicht hat.* Ferner
(mit denselben oder jedenfalls ähnlich aus-
klingenden Grundideen) von H. Schelenz
in einer kürzlich erschienenen Schrift:
»Frauen im Reiche Äskulaps«,
sowie auch mit gewissen erheblichen Ein-
schränkungen von Prof. Runge in seiner
Broschüre über das Weib und in seiner
Festrede über männliche und weibliche
Frauen-Heilkunde
, worin der Verfasser
der Ansicht zu sein scheint, dass die Frauen
die Entwicklung der Geburtshilfe eher ge-
hemmt als gefördert haben. Es ist dies
endlich auch die mehr oder weniger ver-
schleierte Anschauung des berühmten Crimi-
nalisten H. Groß in seiner »Criminal-
psychologie«, wo er den Wert der
weiblichen Zeugenaussage vor Gericht sehr
gering anschlägt, und die gänzlich un-
verhüllte Meinung August Strindbergs,
der in seinen freien Stunden die Blut-
körperchen der Frauen gezählt hat und
aus dem Studium dieses »besonderen
Saftes« in unwiderleglicher Weise die
Inferiorität des Weibes erkannt zu haben
glaubt. All diese Stimmen sind beachtens-
wert. Sie sind es selbst für Den, der
die entgegengesetzten Anschauungen ver-
tritt und ein Freund der ernsten Frauen-
bewegung (wenn auch ein Gegner ihrer
grotesken Auswüchse) ist. Denn auch für
die unbedingten Anhänger des Feminismus
mag es von Wichtigkeit sein, die wissen-
schaftlichen Vertreter des schnurstracks

entgegengesetzten Standpunkts kennen zu
lernen.

P. J. Möbius scheint in der Frauenfrage
ein Epigone Schopenhauers zu sein, dem
er in mancher Beziehung geistesverwandt
ist und dessen knorrige, grimmige Sprache
er fortführt. Wenn man von Frauen spricht,
ist die zarteste Discretion empfehlens-
wert und die äußerste Indiscretion üblich.
So fragt man sich denn unwillkürlich, ob
die Verachtung Schopenhauers, der Hass
Strindbergs gegen das weibliche Geschlecht
nicht in letzter Linie die feindlichen Regungen
des Zurückgewiesenen und Besiegten sind.
Der Lebenslauf Schopenhauers lehrt uns,
dass er das Weib nicht entbehren und
nur sehr — einseitige Erfahrungen über
dasselbe sammeln konnte. Ist es dann
verwunderlich, dass er in dem grandiosen
Gedankenbau seiner Philosophie einen Flügel
für seinen Hass freihielt? Der architek-
tonische Zusammenhang mit dem gigan-
tischen Grundgebäude ist demgemäß nur
ein loser und äußerlicher. Denn der Welt-
wille der Schopenhauer’schen Philosophie,
der in rastlosem Begehren verschmachtet,
in unendlichem Leiden sich bethätigt
und durch die Vorstellung zur Verneinung
und Erlösung seines Wesens geführt werden
kann, ist doch, sollte man glauben, ge-
schlechtslos. Er gibt sich ebenso in den
männlichen wie in den weiblichen Willens-
Individuen kund. Allerdings sagt Schopen-
hauer, dass die Natur, »als sie das Menschen-
geschlecht in zwei Hälften spaltete«, den
Schnitt »nicht gerade durch die Mitte«
geführt hat. — So meint denn auch
Möbius, dass sich an der Seite des Mannes
nicht ein geschlechtlich verschiedenes, aber
geistig ebenbürtiges Wesen, sondern ein
schwaches und schwachsinniges Ge-
schöpf findet.

Es ist wohl zweifellos, dass die männ-
lichen und weiblichen Fähigkeiten im
allgemeinen sehr verschieden sind — aber

* Verlag Carl Marhold, Halle a. d. Saale, 1900.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 291, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-17_n0291.html)