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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 292

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SOKAL: DER SCHWACHSINN DES WEIBES.

findet hier nicht etwa ein Ausgleich statt,
derart, dass die Frauen auf dem einen
Gebiete mehr leisten, die Männer auf
einem anderen? Möbius verneint dies auf
das entschiedenste. Denn für ihn ist das
Weib einfach körperlich und geistig, ab-
gesehen von seiner geschlechtlichen Ver-
schiedenheit, ein Mittelding zwischen Kind
und Mann — mit einem charakteristischen
Unterschiede: beim Kinde ist der Kopf
relativ größer als beim Manne, beim
Weibe ist der Kopf nicht nur absolut,
sondern auch relativ kleiner. Ein kleiner Kopf
umschließt nun natürlich nur ein kleines
Gehirn, aber hier kann man (gleichwie
gegen Bischoffs Gehirnwägungen) den
Einwand erheben, dass ein kleines Gehirn
ebensoviel wert sein könne, wie ein großes,
wenn es die für das geistige Leben
wichtigen Theile in ebenso guter Qualität
enthalte. Das Dictum »Du bist gewogen
und zu leicht befunden« findet auf Ge-
hirne keine Anwendung. Deshalb stützt
sich Möbius vielmehr auf die vergleichenden
Untersuchungen einzelner Gehirntheile;
und da kommen besonders die Ergebnisse
Rüdingers in Betracht. Rüdinger hat
festgestellt, dass die Schläfenwindung des
Gehirns beim Knaben im Durchschnitt
in allen ihren Durchmessern etwas größer,
convexer und stärker gefurcht ist, als beim
Mädchen. Er hat ferner an Erwachsenen
gezeigt, dass der weibliche Gyrus frontalis
tertius
(dritte Stirnwindung) einfacher und
kleiner ist, als der männliche etc. etc.
»Demnach ist also nachgewiesen«, sagt
Möbius, »dass für das geistige Leben
außerordentlich wichtige Gehirntheile, die
Windungen des Stirn- und des Schläfen-
lappens, beim Weibe schlechter entwickelt
sind, als beim Manne, und dass dieser
Unterschied schon bei der Geburt besteht«.

Ist dies auch wirklich »nachgewiesen«?
Ist unser Wissen von den Zusammen-
hängen dieser Verhältnisse ausreichend,
um aus dem Bau des individuellen Gehirns
bestimmte Schlussfolgerungen auf seine
functionelle Tüchtigkeit zu gestatten? Und
hat nicht erst kürzlich Prof. Laborde
von der Pariser Académie de médicine die
Analogie zwischen dem Gehirnbau eines
maniakalischen Mörders und dem Gehirn
Gambettas ausführlich erörtert? Seit
jeher ist es deutsche Gelehrtenart gewesen,

eine Thatsache als »bewiesen« anzusehen,
wenn man für sie einen halbwegs triftigen,
vielleicht gar erwünschten Erklärungs-
grund gefunden zu haben vermeinte.

Gleichwie Mann und Weib dieselben
Gehirnwindungen haben, nur von ver-
schiedener Größe, so haben sie auch die-
selben geistigen Eigenschaften; ein Mehr
oder Minder macht hier nach
Möbius den ganzen Unterschied
.
Die Sinne scheinen bei beiden Geschlechtern
ungefähr gleich scharf zu sein. Lom-
broso glaubt zwar gefunden zu haben,
dass die Schmerzempfindlichkeit der Haut
beim Weibe geringer ist, doch scheint es
sich hier eigentlich nicht um geringere
Sinnesschärfe, sondern um geringere
geistige Reaction auf starke Reize zu
handeln. Anders ist es in der Be-
wegungssphäre, denn an Kraft und Ge-
schicklichkeit steht das Weib tief unter
dem Manne. Wegen seiner Schwäche war
es seit jeher vorwiegend auf Arbeiten an-
gewiesen, die eine gewisse Geschicklich-
keit erfordern, und dadurch entstand der
Glaube an die geschickten weiblichen
Finger. Aber, sobald sich ein Mann einer
Weiberarbeit annimmt (als Schneider,
Weber, Koch u. s. w.), leistet er bessere
Arbeit, als das Weib. Im Grunde ist ja
die Geschicklichkeit eine Leistung der
Gehirnrinde, wie die Beurtheilung der
Sinnesempfindungen, und man wird immer
wieder darauf hingewiesen, die Ver-
schiedenheit der Geschlechter in den
eigentlich geistigen Fähigkeiten zu suchen.

Einer der wesentlichsten Unterschiede
ist nun wohl der, dass der Instinct beim
Weibe eine größere Rolle spielt, als beim
Manne. Wir sprechen dann vom Instinct,
wenn eine zweckmäßige Handlung aus-
geführt wird, ohne dass der Handelnde
eigentlich weiß, warum er sie in dieser
Weise ausgeführt hat; wir sprechen auch
von instinctiver Erkenntnis, wenn wir zu
Urtheilen gelangen, ohne zu wissen, wie sie
zu begründen wären. »Der Instinct
nun macht das Weib thierähnlich
,
unselbständig, sicher und heiter«
(Möbius). In ihm ruht seine eigenthüm-
liche Kraft, er macht es bewundernswert
und anziehend. Mit dieser Thierähnlichkeit
hängen (nach Möbius) sehr viele weib-
liche Eigenthümlichkeiten zusammen. Zu-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 292, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-17_n0292.html)