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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 293

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SOKAL: DER SCHWACHSINN DES WEIBES.

nächst der »Mangel eigenen Urtheils«.
Was für wahr und gut gilt, das ist den
Weibern wahr und gut. Sie sind streng
conservativ und hassen das Neue, aus-
genommen natürlich die Fälle, in denen
das Neue persönlichen Vortheil bringt.
Aller Fortschritt, jede geniale Neue-
rung geht vom Manne aus. Deshalb
hängt das Weib vielfach wie ein Blei-
gewicht an ihm, es verhindert manche
Unruhe und vorwitzige Neugestaltung,
hemmt aber auch den Fortschritt, denn
es unterwirft schlechtweg alles der »Sitte«
und dem »Sagen der Leute«. Der Mangel
an Kritik drückt sich auch in der Suggesti-
bilität aus. So ergibt sich (für Möbius)
der Widerspruch, dass die Frauen als
Hüterinnen alter Sitte doch jeder Mode
nachlaufen, conservativ sind und dennoch
jede Absurdität aufnehmen, sobald sie
ihnen geschickt suggeriert wird. Ihre
Moral ist durchaus Gefühlsmoral oder
unbewusstes Rechtthun, die Begriffs-
moral ist ihnen unzugänglich, die Reflexion
macht sie nur schlechter. Es ist daher (nach
Möbius) durchaus unrichtig, die Weiber »un-
moralisch« zu nennen; sie sind moralisch
einseitig
oder — defect. Soweit ihre
Liebe reicht und sofern angeschautes
Leiden ihr Mitleid erweckt, scheinen sie
oft jeder Aufopferung fähig und beschämen
nicht selten den Mann. Aber sie sind von
Herzen ungerecht und lachen innerlich
über jedes Gesetz oder verletzen es, sobald
die Furcht oder die Dressur das fordern.
Und diese Eigenheiten sind nicht etwa
im Verlaufe der Geschichte erworben,
sondern angeboren. Den »beliebten Kniff
der Männer«, die den Weibern Emancipa-
tions-Gelüste einflößen, indem sie behaupten,
die Frauen seien von den muskelstarken
Männern zu Sclaven gemacht worden,
und erst in dieser Sclaverei sei der weib-
liche Geist verkümmert, weist Möbius mit
Ironie und Verachtung zurück.

Aber: Wenn es nun schon den Frauen
an »Begriffsmoral« fehlt, und sie dafür
nur das wahrlich nicht zu unterschätzende
Surrogat der »Gefühlsmoral« besitzen;
wenn bei ihnen der Instinct, das Unbe-
wusste (dem manche Psychologen eine viel
vornehmere Stellung zuweisen als Möbius)
häufig an die Stelle der bewussten Re-
flexion tritt; wenn bei ihnen der holde

»Wahn des Genies«, das bekanntlich auch
unter den Männern keine ansteckende Krank-
heit ist, noch seltener auftritt — ist
damit die ökonomische Frauenfrage aus
der Welt geschafft oder irgendetwas
gegen ihre verschiedenen Lösungsversuche
(z. B. gegen das Studium der Frauen)
bewiesen? Der wissenschaftliche Weiber-
verächter Möbius gelangt hier zu einem
durchaus unerwarteten Resultat! Er meint
zwar, dass übermäßige Gehirnthätigkeit
das Weib krank mache; er betont, dass
im ganzen Thierreiche die Intelligenz im
umgekehrten Verhältnisse zur Fruchtbar-
keit stehe, und dass die weiblichen
Ameisen und Bienen nur auf Kosten der
Geschlechtlichkeit höhere Intelligenz er-
werben, während die allein fortpflanzungs-
fähige Königin der Bienen ein ganz
stupides Geschöpf ist etc. etc. Nichtsdesto-
weniger fährt er fort: »Die Ärzte haben
sich vielfach über die Forderung der
Weiber, zur Medicin zugelassen zu werden,
aufgehalten. Vielleicht ist die Sache nicht
so wichtig. Einerseits ist nicht zu
leugnen, dass die weiblichen
Geistesfähigkeiten zur Erlernung
der Medicin ausreichen
und dass
gelegentlich weibliche Ärzte nützlich sein
können, andererseits werden doch nur
recht wenige Mädchen sich dem Studium
zuwenden, immer weniger, je mehr die
Sache an „Actualität“ verliert, und diese
wenigen werden solche sein, die für ihren
weiblichen Beruf so wie so nicht
recht tauglich sind
.« Viel wichtiger
aber scheint es ihm zu sein, dass sich
die Ärzte eine klare Vorstellung
von dem weiblichen Gehirn
- oder
Geisteszustande
verschaffen und die
Bedeutung des weiblichen Schwachsinns
begreifen. Verstellung und Lüge sei die
natürliche und unentbehrliche Waffe des
Weibes, und nichts wäre thörichter,
als dem Weibe das Lügen verbieten zu
wollen. Freilich soll die Waffe nur zur
Vertheidigung dienen; indessen ist es
begreiflich, dass ein Verfahren, das
einen wichtigen Theil der Lebensführung
bildet, auch ohne Noth angewendet
wird. An sich ist die weibliche Lüge
nur in geschlechtlichen Be-
ziehungen gerechtfertigt; die Billigkeit
aber fordert, dass sie überhaupt milder

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 293, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-17_n0293.html)