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Es ist doch nicht dasselbe, ob ich ein
Bild als Gemälde oder als Gobelin sehe.
Was ist denn ein Gobelin? Wenn man
mich darum fragte, ich müsste sagen:
Äußerlich schon das Bild nach einem
Bilde. Vielleicht hätte ich damit das
Wesentliche auch bestimmt. Ein Gobelin
ist ein übertragenes Bild, und wenn man
mir das Paradoxon erlaubt, ein künstliches
Bild. Was da vor mir hängt, aus
Leinen-, Seiden- und Goldfäden gewoben,
mit Schatten wie Spiegelflecken und mit
Bäumen, die in Blau und Gelb wehen,
ist eigentlich etwas ganz Äußerliches,
Handwerk, ist nur Bild. Aber gerade
darum wirkt es geistiger, scheint es, als
wäre es von selbst da, wie Traumbilder,
und sieht aus so weiter Ferne auf uns,
dass es möglich wird, wie Erinnerungen.
Ein Gobelin macht uns wider unser Wissen
zu Ästheten; Ästhetik ist hier ganz un-
bewusste Reaction unser selbst. Ein
Gobelin zwingt mehr als ein Gemälde
unser Auge zum Schaffen. Ästhetik soll
übrigens nichts anderes sein, als die
Wissenschaft vom schaffenden Auge.
Man könnte sagen, ein Gobelin ver-
hält sich zu einem Gemälde, wie eine
Marionette oder Maske zum Schauspieler.
Masken sind suggestiver als Schauspieler,
und ein Gobelin scheint mir mehr Bild
zu sein als ein Gemälde. Gobelins sind
unnatürlicher als Gemälde. Ich will mich
deutlich machen: An jedem Gemälde ist
etwas, was nur natürlich und nicht bild-
lich ist. Es ist das meist die natürliche
Unvollkommenheit des Künstlers und die
natürliche Unbändigkeit des Materials, die
sich zwischen den Menschen und das Bild
schieben. In großen Kunstwerken erscheint
es dann umgewertet als des Künstlers
Zweifel oder Glauben, als seine Absicht,
sein Ideal, als sein feierliches Dienen, als
sein einsamer Trotz. Es ist immer Das
an unserem Werke, das wir umschreiben
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mit Worten, die nicht uns gehören. Wir
selbst sind es, die sich verkleiden; im
Gemälde ist es der Künstler, der sein
Bild trübt. Ich hätte kürzer sein und sagen
können: Das Gemälde ist subjectiver als
der Gobelin, aber die kurzen Wege darf
nur Der nehmen, der die langen schon
gegangen ist. Wenn auch buchstäblich
ein Gobelin ebenso subjectiv ist, wie der
Carton, nach dem er gewoben ist — der
Carton muss immer das Werk eines
Künstlers sein — so interessiert uns das
an ihm nicht, es ist wie verloren gegangen.
Oder noch deutlicher: Nicht jedes Gemälde
darf in einen Gobelin übertragen werden,
und es gibt sehr viel überflüssige Gobelins.
Ich will ein Beispiel geben. Im South
Kensington Museum in London hängen
Gobelins nach den Cartons von Raphael,
die in Berlin sind. Man mag an ihnen
alles bewundern, was man nur irgendwie
groß findet an Raphael und an der Art,
wie er den wahrhaft festlichen Sinn seiner
Zeit wiedergab; aber, aufrichtig gestanden:
an und für sich, wie sie dahängen, sind
es nur schlechte Copien, als Gobelins ebenso
langweilig, wie die vielen Schüler Raphaels.
Vor einem nur muss man eine Ausnahme
machen, vor dem wundervollen »Fisch-
fang«. Da ist mir der Gobelin lieber als
jedes mögliche Gemälde. Das ist nur Bild.
Ich kann es nicht beschreiben, das heißt,
ich will es nicht. Etwas, das in so hohem
Grade nur Bild ist, darf man ebensowenig
in Worten wiedergeben, wie eine Ouverture
Wagners. In mir lebt nur der Eindruck
fort von weiten Horizonten, von Ufern,
die sich spiegeln, von den geschwungenen
Linien des Schifferkahnes und der Wellen,
die ihn wiegen, von den Körpern der
Schiffer, die sich bücken, von vielen
Armen, die an vollen Netzen ziehen, und
von Wasservögeln, die ihre Flügel weiten.
Das alles ist so losgelöst von aller Schwere,
so grundlos und wehend, so hingegeben dem
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