|
Leben, dass die Kunst nicht künstlich genug
sein kann, um es an sich zu halten. Der
Gobelin ist hier ein Kunstwerk, das Hand-
werk ist hier nothwendig.
Man käme vielleicht zu einer ganz
eigenartigen Auffassung der Kunst, wenn
man untersuchte, welche Bilder als Gobe-
lins möglich sind und welche nicht.
Die große Kunst Puvis’ de Chavannes
wurzelt in der Erkenntnis dieses Ver-
hältnisses. Burne-Jones’ Gemälde
sind verfehlte Gobelins. Die Gobelins
nach seinen Cartons sind vom Gesichts-
punkte der reinen Kunst schöner als seine
Gemälde; seine Bilder im Freilicht sind uner-
träglich, ebenso unerträglich, wie es Gior-
giones
Fête champêtre oder ein Pastorale
Watteaus als Gobelins wären. Ich
sah in letzter Zeit viele Gobelins und ich
fand, dass eigentlich nur die Primitiven
im Gobelin deutlicher, beinahe lebendiger
wirken. Wenn man sonst einen guten
Gobelin findet — z. B. nach Oudry —,
so scheint das ganz zufällig, und man
macht nur eine Ausnahme. Die Ethik der
Gobelins wird da nothwendig zu einer
Ethik der Primitiven. Mir wurde das
alles klar vor einigen Gobelins Vittore
Pisanos, die im Louvre sind, und vor den
flämischen Gobelins aus dem Schatze des
spanischen Königshauses, die im spanischen
Pavillon der Pariser Welt-Ausstellung
hängen. Ich kenne freilich nicht alle Gobelins,
die je gewoben worden sind, aber ich kann
nicht glauben, dass einige von den flämischen
Gobelins aus der Werkstätte Wilhelm
Pannemakers, Scenen aus dem Marien-
leben darstellend, nicht das Höchste sind,
was in dieser Kunst je erreicht worden
ist. Es heißt von ihnen, sie seien Karl V.
so lieb gewesen, dass er sie mit nach
St. Just nahm. Die Wiesen auf ihnen
und die Felder sind wie ein Teppich unter
das Leben gebreitet, die Feldblumen sind
wie auf Beeten gezogen, wie Kinder
sie sehen, oder wie man sie pflückt,
einzeln und aufgeblüht, ganz Blüte, und
als stäken sie ohne Wurzeln im Boden.
Sie sind im Lichte, das ist ihre ganze
Botanik; das Licht hat sie gerufen, und
sie wurden ein Gleichnis der Augen.
»Wenn der Sommer kommt und die
Sonne steigt, da zieht sie die Feuchtig-
keit der Erde die Wurzeln und den
|
Stamm entlang bis in die Zweige, und
dann grünt alles und blüht und trägt
Früchte«, heißt es einmal in Ruysbroeck
dem Wunderbaren, und besser konnte
man es auch später nicht sagen. Die ganze
Natur ist wie ein Garten oder wie das
Paradies in den Erzählungen, für den
Menschen geschaffen, sein Besitz. Der
Mensch wandelt in ihr, und sie weist ihn.
Sie ist kein Ganzes, das Gefühl kann noch
nicht ihre Einheit im einzelnen begreifen
und sucht nicht nach ihren Wurzeln und
Quellen. Die Wurzeln der Dinge waren
noch hässlich wie die Sünde und grotesk,
oder man suchte sie in Gott; die Quellen
sind auf diesen Bildern wie die Brunnen.
Die Natur ist, sage ich, noch kein Ganzes,
sie theilt sich in Das, was das Auge sieht:
in die Hügel und Büsche, in die Hecken
und Wege, die wie ein graues Band
über die grünen Wiesen gelegt sind;
sie ist nur ein Gleichnis der Augen.
Sie ist decorativ, und die Berge scheinen
nur wegen der Burgen da zu sein, die
auf ihnen gleichsam kleben. Sie ist aber auch
platonisch, die Natur des Pilgers und
Abenteurers. Sie ist intim und weist zu-
gleich auf Fernen; der Mensch kennt sie
wie seinen Garten, und doch ist sie nur
da, auf dass er in ihr nicht verweile. Sie
ist platonisch, ein Durchgang, und die
Burgen und Schlösser sind nur Thürme
und Thore, wie der Mensch selbst eine
Wehr und zwei suchende Augen. Die
Thiere lagern wie im Paradiese oder
spreizen die Glieder wie auf den Wappen.
Auch sie sind nur Gleichnisse und leben
in Legenden und in Ländern, von denen
man erzählt.
Von den Menschen kann man sagen,
sie kennen sich, und darum finden sie
aneinander kein großes Interesse mehr.
Sie sind zusammengekommen zu etwas
Gemeinsamem, wie Sänger zu einem
Chor, wie Priester zu einer heiligen
Handlung, wie Spieler auf die Bühne. Sie
stellen sich vor uns auf, sie stellen sich vor,
ins Licht, und die Schatten scheint ihnen
jemand abgenommen zu haben. Sie halten
sich streng an ihre Formen, als wüssten
sie, dass sie nur Bilder sind. Das Leben
ist ihnen wie eine Rolle auferlegt worden, und
sie spielen diese ab. Der Rhythmus ist nicht
in ihnen, und sie kennen seine Gesetze. —
|