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Über die MATERIELLE STELLUNG
der DEUTSCHEN DICHTER und SCHRIFT-
STELLER gibt Tony Kellen in »Nord und
Süd« (Nr. 277 und 278) interessante Aufschlüsse.
Dass sich die deutschen Dichter von jeher mit
dem »Gold, das aus der Kehle dringt«, begnügen
mussten und in der Regel fast ausschließlich
auf diesen »Lohn, der reichlich lohnet«, an-
gewiesen waren, ist eine der populärsten und
beschämendsten Thatsachen in der Geistes- und
Wirtschaftsgeschichte unserer deutschen Cultur-
lande. Unter den deutschen Dichtern früherer
Generationen bildet nur Goethe — auch in
dieser Beziehung — einen durchaus excep-
tionellen Fall: er, der größte deutsche Dichter,
war in der Wahrung seiner materiellen Interessen
ein hervorragend tüchtiger Geschäftsmann
In welchem Verhältnis die Schriftsteller seit
Erfindung der Buchdruckerkunst bis zum sieb-
zehnten Jahrhundert zu ihren Buchhändlern
gestanden, ist heute schwer zu eruieren. Bis
ins achtzehnte Jahrhundert gab es wohl keine
Literaten, die ausschließlich von ihrer Feder
gelebt hätten. Die meisten bezogen von
fürstlichen und anderen hochgestellten Persön-
lichkeiten Ehrengehälter. — Luther hat für
keine seiner Schriften auch nur das geringste
Honorar angenommen. Sehr mäßigen Geld-
gewinn zog Hans Sachs aus seinen zahl-,
reichen Werken (16 Bände »Gesangbücher«,
18 Bände »Spruchbücher«, 200 Dramen).
Gellert (a. o. Professor) hatte ein Jahres-
einkommen von 100 Thalern. Klopstock strich
für seine »Messiade« anfänglich — zwei Thaler,
dann einen Ducaten pro Druckbogen ein; überdies
ließ ihm sein Verleger Hemmerde zu Halle,
dem das Buch viele Tausende einbrachte,
einen — schönen neuen Anzug und einen sehr
schönen neuen Hut machen. Friedrich II. von
Dänemark gewährte ihm ein Jahresgehalt von
400 Reichsthalern; später erhielt er am Hofe
Karl Friedrichs von Baden Rang und Gehalt
eines markgräflichen Hofrathes. Wieland
bezog als Erzieher der Söhne Anna Amalias
von Sachsen-Weimar eine reichliche Dotation.
Bürger lebte in großer Noth, über die
ihm auch seine Übersetzungsarbeiten kaum
hinaushalfen; »Niemand kann zween Herren
dienen, dem Mammon und den Musen« —
schrieb er an Gleim und Boye. Sechs Wochen
vor seinem Tode erhielt er von der königlichen
Regierung in Hannover ein Präsent im Betrage
von — 50 (fünfzig) Reichsthalern. Herder (Hof-
Prediger und Super-Intendent) lebte gesichert.
Jean Paul musste wegen einer Schuld von
20 Thalern in einem geborgten Mantel fliehen;
nahm aus Noth eine Hauslehrerstelle an; gab
sie auf, als ihm für seine »Unsichtbare Loge«
100 Ducaten bezahlt wurden. Einige Jahre
später war er einer der gefeiertsten Schrift-
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steller Deutschlands; der Herzog von Sachsen-
Hildburghausen machte ihn zum Legations-
rath, der Fürstprimas setzte ihm ein Jahres-
gehalt von 1000 rhein. Fl. aus. Lessing musste
anfangs, wie Bürger, aus Noth den Übersetzer
spielen; als Wolfenbütteler Bibliothekar bezog
er 600, später 800 Thaler pro Jahr; »Nathan
der Weise« wurde auf dem Wege der Sub-
scription gedruckt; Lessing starb so arm, dass
ihn der Herzog von Braunschweig auf Staats-
kosten begraben lassen musste. Die materiellen
Verhältnisse Goethes und Schillers sind
zum Gegenstande minutiösester Forschungen
gemacht worden. Goedeke, Vollmer (Brief-
wechsel zwischen Schiller und Cotta), Kleinstück
(Goethe und Cotta), Sandvoß (Preuß. Jahrb. 1898,
S. 366 ff.), Burkhardt (Vschr. f. Lit.-Gesch. 3,482),
haben eingehend darüber berichtet. »Die Buch-
händler sind alle des Teufels, für sie muss es
eine eigene Hölle geben«, sagte Goethe
einmal im Unmuth. Und Schiller schrieb
(18. Mai 1802) an Cotta: »Es ist, um es gerade
heraus zu sagen, kein guter Handel mit Goethe
zu treffen, weil er seinen Wert ganz kennt
und sich selbst hoch taxiert und auf das Glück
des Buchhandels, davon er überhaupt nur eine
vage Idee hat, keine Rücksicht nimmt. Es ist
noch kein Buchhändler in Verbindung mit
ihm geblieben. Er war noch mit keinem zu-
frieden, und mancher mochte auch mit ihm
nicht zufrieden sein. Liberalität gegen seine
Verleger ist seine Sache nicht!« Ganz anders
war Schiller, in dessen Wesen eine geheime
»Scheu vor allem Mercantilischen« lag (Brief
an Cotta vom 13. October 1801). Gleichwohl
führt Goedeke (Geschäftsbriefe Schillers,
Nr. 307) den Nachweis, dass Schiller im Grunde
doch ein »im buchhändlerischen Verkehr über-
aus
gewandter Geschäftsmann« gewesen
sei und beispielsweise dem Verleger seiner
Gedichte einen äußerst ingeniösen Hono-
rierungsmodus (Brief an Crusius vom 10. März
1803) propositionsweise entworfen habe. —
Goethe bezog (cf. den Vortrag Dr. H. Burk-
hardts über Goethes Haus- und Finanzwirt-
schaft) seit seiner Ernennung zum geheimen
Rath (1776) ein jährliches Staatsgehalt von
1200 Thalern (das später auf 1800 Thaler
erhöht wurde), verausgabte aber ca. 1450 bis
2250 Thaler pro Jahr; namentlich verschlang
auch sein großer Wohlthätigkeitssinn beträcht-
liche Summen. Nach 1790 befanden sich seine
Einnahmen in stetem Wachsthum, nach 1815
verdiente er durchschnittlich 3000 Thaler
pro Jahr, anno 1817 verfügte er über 4600
Thaler Activa, anno 1831 betrug sein Ver-
mögen die Summe von rund 30.000 Thalern.
Die Cotta’sche Buchhandlung zahlte an Goethe
(von 1795 bis zu dem Tode des Dichters) den
Gesammtbetrag von 233.969 Gulden ( 401.090
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