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Seit Maria mich verlassen, seit sie
von dieser Erde gegangen, um auf einem
anderen Stern zu wohnen — dem Orion?
dem Altaïr? oder auf dir, du grüne Venus?
— seit sie mich verlassen, konnte ich nur
die Einsamkeit lieben.
Lange, lange Tage habe ich mit nie-
mand anderem zugebracht, als mit meiner
Katze. Die aber war für mich kein körper-
lich Wesen, war ein mystischer Gefährte,
irgendein Geist. Deshalb kann ich sagen,
dass ich lange, lange Tage mit niemandem
zugebracht habe. Mit niemand anderem,
als mit meiner Katze. Und dem einen
oder dem anderen Autor lateinischer
Decadenz.
Denn seit sie mich verlassen, seit ihr
strahlendes Wesen um mich erloschen,
habe ich alles seltsam geliebt, was an
Untergang mahnt.
Nichts war mir theurer, als einer
jener kraftlosen Sommertage, die zum
Herbst hinübereilen. Oder eine jener
Stunden-— es waren die einzigen, in
denen ich mein Haus verließ — wenn die
Sonne, kurz ehe sie von dannen zieht,
noch einmal mit goldenen Strahlen auf
grauem Gemäuer und purpurfarben auf
den Fensterscheiben ausruht.
Und so gehörten denn auch die Bücher,
die einzigen, die ich lesen konnte, der
sterbenden Dichtung des sterbenden Rom
an — jener Dichtung, die noch nicht
wieder aufathmet, von der verjüngenden
Kraft des nahenden Barbaren-Ansturms
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belebt; die aber auch noch nicht zum kin-
dischen Lallen geworden ist, wie wir es
an den Sätzen der ersten christlichen
Schriftsteller kennen.
Ich las — — las gerade eines von
diesen theueren Büchern, deren Schminke-
spuren und Schönheitspflaster mir lieber
sind, als die Lebensfarbe der Jugend;
meine Hand lag im Pelz des Thieres,
als unter meinem Fenster, sehnsüchtig
und traurig, eine Drehorgel zu spielen
begann. Sie klang aus einer langen Pappel-
allee zu mir herauf und durch eine Blätter-
wildnis, die mich selbst im Frühling todt
und düster dünkt, seit sie über Marias
letztem, kerzenüberstrahltem Wege geseufzt.
Und wirklich, sie singt für die Traurigen,
die Drehorgel. Das Piano funkelt, die
Violine strahlt zu hell für wunde Nerven.
Aber sie hat mich in jener schattenvollen
Dämmerstunde mit dunkeln, weichen, hoff-
nungslosen Träumen beschenkt. Und jetzt,
da sie ein fröhliches Liedchen dudelte,
eine alte, abgeleierte Melodie, die die
Herzen armer Vorstadtmädchen lustiger
schlagen lässt — woher kam es, dass das
Lied mir bis tief in die Seele gieng und
mich weinen machte, wie eine roman-
tische Ballade?
Langsam, wie einen seltenen Trank,
genoss ich die Klänge — und warf keinen
Nickel aus dem Fenster, um mich nicht
selbst zu stören, um nicht zu sehen, dass
sie nicht selber spielte, die Orgel.
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