Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 20, S. 345

Aus der Ballade des Stockhauses zu Reading (Wilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 20, S. 345

Text

AUS DER BALLADE DES STOCKHAUSES ZU READING.
Von C. 3. 3.
(Zellennummer OSCAR WILDES).
In Memoriam
C. T. W.
weiland Reiter in der Königlichen Leibgarde
hingerichtet in Ihrer Majestät Gefängnis zu Reading, Berkshire, am 7. Juli 1896.
Deutsche Nachdichtung von ARTHUR HOLITSCHEK. I.

Er trug nicht mehr seinen rothen Rock,
Denn Blut und Wein sind roth,
Und Blut und Wein klebten ihm auf der
Hand,
Als man ihn bei der Todten fand,
Der armen todten Magd, die er liebt’
Und gemordet hat in ihrem Bett.

Er schritt zwischen den Gefangenen mit
Im schäbigen, grauen Habit;
Eine Cricketmütze saß auf dem Haar,
Sein Gang gar leicht und fröhlich war;
Doch nimmer sah einen Mann ich
starren
So glühend aufs Firmament.

Nein, niemals sah solch starren Blick
Auf zu dem Himmel ich brennen,
Zum Himmel, wie die Sträflinge all
Den winzigen blauen Fetzen nennen,
Und jeglicher Wolke silbernem Flor,
Der oben vorüberzog und sich verlor.

Ich schritt mit den anderen verdammten
Seelen
In einem andern Ring,
Und wunderte mich, ob jener dort
Was Schweres wohl begieng?
Da flüstert’s hinter mir scheu und gesenkt:
»Der Junge dort wird gehenkt!«

Mein Christ! Die starken Gefängnismauern
Sah ich in ihren Festen erschauern,
Der Himmel zu meinen Häupten erglomm
Wie ein Helm aus glühendem Stahl;
Und ob meine Seele in Verdammnis auch
war,
Vergaß sie der eigenen Qual.

Nun wusste ich, welch ein gesetzter Sinn
Ihm Schritt und Athem trieb,
Und weshalb solch ein Blick voll Glut
Am Lichte haften blieb;
Der Mann hat gemordet sein Liebstes auf
Erden,
Und darum muss er verderben.

Doch mordet ja jeder sein liebstes Ding,
Damit ihr es nur hört!
Der eine thut’s mit bösem Blick,
Der and’re mit Schmeichelwort;
Der Feigling thut’s in einem Kuss,
Der Held mit seinem Schwert!

Die morden ihre Liebe, solang sie jung,
Jene erst, wenn sie alt sind;
Die würgen sie mit Händen der Lust,
Jene mit Händen, die von Gold sind;
Die Besten gebrauchen ein Messer dazu,
Weil die Todten dann so bald kalt sind.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 20, S. 345, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-20_n0345.html)