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und seine Marmorgruppen in der minutiösesten
Weise, bis ins kleinste Detail, modelliert; dann
aber hat er sich frischweg entschlossen, den
hervorstechendsten Theilen seiner Figuren
die minder wichtigen unterzuordnen, die in-
differenten Partien, ohne bei ihnen zu ver-
weilen, nur summarisch anzudeuten; so hat er
breite Marmor- und Bronzeflächen fast gänzlich
unbearbeitet gelassen; an Einzelheiten hat er
immer mehr und mehr geopfert, um die Be-
wegtheit des Ganzen, in der sich die Seele des
Kunstwerkes verräth, umso schärfer zum Aus-
druck zu bringen. Vom »Ehernen Zeitalter«,
vom »Heiligen Johannes« bis zu den »Bürgern
von Calais« kann man den Entwicklungsgang
dieser deutlichen Vereinfachung, die wachsende
Kühnheit dieser Zusammenfassungen und Opfer
verfolgen. So ist er später — der Logik seines
Princips bis zum äußersten nachgehend — zu
einer systematischen Veränderung der wirk-
lichen Proportionen gelangt, zu einer Um-
gestaltung und Bereicherung der charakteristi-
schen Partien, die den Ausdruck der Figur zu
verstärken hatte. Am unerschrockensten hat
er diese Methode in den Monumenten Victor
Hugos und Balzacs durchgeführt.
Seinem Bestreben, das Leben der Seele
durch physisches Leben zum Ausdruck zu
bringen, kam an sich schon das eigenthüm-
liche Verfahren des Bildhauers entgegen, das
solchem plastischen Trieb weit förderlicher ist.
als irgendeine andere künstlerische Technik;
und wenn er die Domäne seiner Kunst er-
weitert und ihre Technik in mancher Hinsicht
umgestaltet und fortentwickelt hat, so kann
man ihm doch jedenfalls nicht vorhalten, dass er
sie zu Aufgaben genöthigt habe, die sie sich
versagen musste. Nicht in der Wahl seiner
Sujets und Motive, nicht in der Anwendung
des Allegorischen, nicht in der Lebendigkeit
der Physiognomien allein kommt seine Gefühls-
welt zum Ausdruck, wohl aber in der gesammten
Haltung der Leiber, die durch das Spiel der
Muskeln und durch die Biegungen der Gelenke
unter der Epidermis gestreckt, gekrümmt
und ineinandergeschlungen werden. Extreme
Gefühle, den stillen Paroxysmus des Leidens
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will er vermitteln: Emotionen, die viel zu tief
greifen, als dass man sie in Worte fassen
könnte, Emotionen, die bislang die ureigent-
liche und ausschließliche Domäne der Musik
zu sein schienen, die aber — wie schon Michel-
Angelo empfunden hat — auch durch Attituden
des menschlichen Körpers, durch die Contrac-
tionen und Streckungen und alle sichtbarlichen
Ausdrucksformen des Menschenleibes aus-
gelöst werden können und ganz unlöslich mit
ihnen verbunden sind.
Solchermaßen also hat er seine leiden-
schaftliche und schmerzensreiche Deutung des
menschlichen Daseins in Gestalten umgesetzt
— eine Auffassung, die der des großen Floren-
tiners verwandt scheint, aber von einer weit
menschlicheren Erhabenheit und minder her-
rischen Größe zeugt. Sein oeuvre will nicht,
wie die Gewölbe der Sixtina und die Kapelle
der Medici. die souveräne Trauer und Hoheit
eines gefallenen Gottes darstellen; aber es
zeigt uns menschliche Creaturen. die lieben.
begehren, sinnen und leiden. Wenn er auch
in seinem Victor Hugo die ruhige Majestät
des schöpferischen Genies, in seinem »Kuss«
oder in seinem »Frühling« die jugendliche
Grazie, die weibliche und die männliche
Schönheit und ich weiß nicht welche unbe-
schreibliche Mischung aus Begierde und Keusch-
heit zu gestalten wusste — der Schmerz ist
es gleichwohl, der ihn hauptsächlich inspiriert.
All die Pärchen und Paare, die Liebhaber
und Liebhaberinnen, die Satyrn und faunischen
Nymphen, die er in den Verschlingungen der
Begierde oder in den Ermattungen, die der
Wollust folgen, verknüpft hat, sie alle lösen
nicht etwa, wie bei den Italienern der
Renaissance, als herrschenden Eindruck das
Gefühl triumphierender Schönheit und Freude
aus; sie geben vielmehr die Impression einer
Traurigkeit, den Gedanken an die Sclaverei
des Menschen, der sich den dunklen Noth-
wendigkeiten seiner Instincte fügen muss.
Man erkennt in Rodin, kaum dass man
sein Lebenswerk überblickt hat, den Bewunderer
Dantes und Baudelaires.
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