Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 419

Max Müller Schauspielkunst und Mcdianimität* (Th., K. v.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 419

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RUNDSCHAU.

schon lange vor Eckharts Zeit von den großen
scholastischen Denkern, wie von Thomas
von Aquin selbst, den beiden St. Victor
Bonaventura und anderen, erklärt worden war,
so ist doch nach seiner Anschauung ihr tiefster
Sinn selten so kräftig ans Licht gebracht
worden, wie von Meister Eckhart in seiner
Lehre des wahren spiritualistischen Christen-
thums.

Abschließend resümiert Müller seine Aus-
führungen über die Theosophie im Christen-
thum in folgendem Satze: »Sowohl das Streben
nach Vereinigung mit Gott, wie auch die
schließliche Vereinigung, haben, glaube ich,
ihren vollkommensten Ausdruck im Christen-
thum gefunden. Das Streben der Seele, sich
mit Gott zu vereinigen, findet seinen Ausdruck
in der Liebe zu Gott, an der alle Gesetze und
alle Propheten hangen; die schließliche Ver-
einigung ist darin ausgedrückt, dass wir im
wahren Sinne des Wortes die Söhne Gottes
sind. Diese Sohnschaft kann durch ver-
schiedene Mittel erlangt werden, durch keines
so wahrhaft, als durch das, was Meister
Eckhart
das Aufgehen unseres Willens in den
Willen Gottes nannte«.

Wir glauben, dass Max Müllers Werk
gewonnen hätte, wenn er die bereits existieren-
den systematischen Werke hervorragender
Mystiker über allgemeine Theosophie in Be-
tracht gezogen hätte, obschon dieselben in
akademischen Kreisen weniger bekannt und
anerkannt sind. K. v. Th.

Über SCHAUSPIELKUNST UND ME-
DIANIMITÄT sagt »Die übersinnliche Welt«
(VIII., 10 und 11): Eine höchst unzulängliche
Kunstauffassung ist es, wenn man meint, dass
der Schauspieler etwa durch die Erfahrungen
des Lebens, durch willkürliche und unwillkür-
liche Beobachtungen, Reflexionen oder der-
gleichen dahin gebracht werde, Bühnengestalten
überzeugend darzustellen. Es kommt vielmehr
in erster Linie auf die gesammte physiologische
Veranlagung des Bühnenkünstlers und auf
seine gleichsam medianime Fähigkeit an,
das innere Leben fremder Seelen intuitiv vor
unseren Blick zu stellen. Eine merkwürdige
Erscheinung ist es. dass die Gestaltungen des
wahrhaft schöpferischen Schauspielers mit seiner
eigenen inneren Natur fast gar nichts gemein-
sam haben, ihm also völlig fremd sind, und
dass diese fremden Gestalten untereinander
ebenfalls jedes gemeinsame Band vermissen
lassen. In früheren Zeiten, da man die äußere
Maske noch nicht bis ins Detail naturalistisch
auszuarbeiten pflegte, vielmehr auf Andeutungen
sich zu beschränken wusste, war die rein
geistige
Verschiedenheit der von dem näm-
lichen Künstler verkörperten Rollen noch weit
bemerkbarer. Die Haizinger sagte einmal,

dass der Schauspieler gerade das am besten
darstelle, was er selber nicht sei.

Wie tief die Verwandtschaft der Media-
nimität
mit der Schauspielkunst reiche, ist
vorderhand noch nicht abzusehen. Hier wie
dort wirken Organisationskräfte, die in ihren
Grundtrieben hier wie dort unbewusst eingreifen
und den eigenen Körper (des Schauspielers,
des Mediums) als Mittel benützen. Man denke
beispielsweise an die Phänomene der Besessen-
heit, die sich darin äußern, dass das Wesen
einer Person hinter einem fremden, durch ihre
Körperlichkeit direct dargestellten oder von
ihr getrennten Wesen verschwindet; man denke
insbesondere an die bis zur abgetrennten
plastischen Materialisierung
gehende
Vorstellungskraft des im Trance befindlichen
Mediums. Bei den vielen wunderbaren Phä-
nomenen, die aus medianimer Begabung ent-
springen (des Sprechens, Schreibens, der Ma-
terialisation etc.). pflegt es das Erstaunen
erfahrener Beobachter zu sein, wie gänzlich
fremd
diese sämmtlichen Verrichtungen dem
sonstigen Wirkungskreise des Mediums, seinem
Können, Denken, Fühlen, oft zu sein pflegen.
Aber wie trotz der größten Verwandlungsfähig-
keit und Objectivität des Schauspielers wenig-
stens ein kleiner Theil seiner physiologischen
Beschaffenheit in die von ihm vermittelten Ge-
stalten übergeht, so bleibt auch, scheint es,
bei allen medianimen Vorgängen (Sprechen,
Schreiben, Materialisation) vom physiologischen
Wesen des Mediums Mancherlei hangen. Ver-
tauschungen der Persönlichkeit mit Annahme
eines fremden Wesens in Gesichtsausdruck und
Bewegung, in Sprechart und Handschrift stellen
sich —weit deutlicher und überzeugender, als
in der Schauspielkunst — im Bereiche der
Medianimität ein, und staunenswert ist hier
wohl die Erscheinung, dass die dargestellte
Person oft auch dem Medium unbekannt
ist. Das Wort des Hypnotiseurs (Dichters) ist
ein unmittelbarer Geistesfunken für die krampf-
haft angespannte, bloßgelegte Intuition des
Mediums (Schauspielers) und setzt vor seinem
inneren Auge alles in das Licht der An-
schauung. Wie bei allen künstlerisch ver-
anlagten Naturen, sind wohl auch bei Schau-
spielern gewisse Beziehungen zu der astralen
Welt nicht selten zu finden. Psychologisch
wichtiger aber ist die umgekehrte Thatsache,
dass sich in der Medianimität (wie manchmal
schon in hypnotischen Zuständen) mit der
wachsenden Verdunkelung des Bewusstseins
ganz hervorragende schauspielerische
Leistungen Zustandekommen, und aufgetragene
Rollen (bestimmte Persönlichkeiten) mit täu-
schender Wahrhaftigkeit dargestellt werden.
Neben dieses Phänomen sind wohl auch die
Fälle des wechselnden Bewusstseins zu
stellen, die im Zustande des Wachens oft
spontan und manchmal für längere Zeit ein-
treten können.


Herausgeber: FELIX RAPPAPORT. — Verantwortlicher Redacteur: ANTON LINDNER.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 419, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-23_n0419.html)