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Zug. Die Volksscenen seiner Oper haben
Mark und Bein. Allein mit seiner Begabung
und seinem Temperament steht er eigentlich
erst am Anfang der Kunst und die höhere künst-
lerische Cultur fehlt ihm. Er ist noch Instinct-
mensch, dem einzelne Griffe, der Anlauf treff-
lich gelingen. So wählt er nicht viel; er packt
zu. Das eigentliche Ziel der Kunst aber ist
Veredelung der Instincte, Durcharbeit und
Klärung des Temperaments, eine Vergeistigung
der natürlichen Anlagen. In der Musik gilt es
nicht nur, ausdrucksvolle Melodien zu schreiben,
sondern man muss auch der melodischen
Linie soviel Sensibilität geben, dass sie mit
kleinem Energieverbrauch den schärfsten Aus-
druck findet. Es gilt nicht nur, stimmungsvolle
Harmonien zu finden, man muss auch die
Valeurs jedes Accordes aufs feinste wissen und
den natürlichen Weg vom einen zum anderen
kennen. Es gilt nicht nur, das Orchester
wirkungsvoll zu setzen, sondern man muss aus
dem Geiste der Instrumente alles erklingen
lassen. Blech- und Saiten-Instrumente, in enger
Lage zusammengedrückt, geben dem Ganzen
ein herbes Colorit, allein es ist mehr Schall
als Klang. Die feinere Nuancierung fehlt.
Nicht nur Technik allein, auch Temperament
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allein schafft kein echtes, volles Kunstwerk.
Natur und Kunst, Kraft und Geist müssen sich
verbinden; eines muss das andere tragen.
Schließlich gibt es ein Alter und eine Zeit,
in welcher das Temperament an Kraft ver-
liert; dann schwindet auch einer solchen Kunst
die innere Energie; während durchgebildete
Meister mit Zeit und Jahren immer höher
steigen, immer mehr an Reichthum und Weite
gewinnen, da die Technik die Phantasie gleich-
sam warm hält. Große Künstler haben diese
Lehren auf der Höhe ihrer Kraft gefunden.
Goethe verkündet sie im »Wilhelm Meister«.
Beethoven ruft sie seinem erzherzoglichen
Schüler zu (la musica merita esser studiata),
Wagner commentiert sie im dritten Act der
»Meistersinger«. Wir, die über die Reinheit
der Kunst zu wachen haben, müssen sie stets
aufs neue wiederholen; Sache der Künstler ist
es, sie ins Schaffen und ins Leben zu über-
führen. So heißt es denn warten und ver-
trauen Die Aufführung in der Oper unter
Leitung Mahlers war voll feinster Kunst.
Herr Schmedes wird im Ausdruck edler,
kindlicher Heldenhaftigkeit immer vollkomme-
ner, Fräulein von Mildenburg an innerer
Energie immer reicher. M. G.
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