Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 417

Hof-Operntheater: »Der Bundschuh« Secession* Max Müller (Graf, MaxTh., K. v.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 417

Text

RUNDSCHAU.

Zug. Die Volksscenen seiner Oper haben
Mark und Bein. Allein mit seiner Begabung
und seinem Temperament steht er eigentlich
erst am Anfang der Kunst und die höhere künst-
lerische Cultur fehlt ihm. Er ist noch Instinct-
mensch, dem einzelne Griffe, der Anlauf treff-
lich gelingen. So wählt er nicht viel; er packt
zu. Das eigentliche Ziel der Kunst aber ist
Veredelung der Instincte, Durcharbeit und
Klärung des Temperaments, eine Vergeistigung
der natürlichen Anlagen. In der Musik gilt es
nicht nur, ausdrucksvolle Melodien zu schreiben,
sondern man muss auch der melodischen
Linie soviel Sensibilität geben, dass sie mit
kleinem Energieverbrauch den schärfsten Aus-
druck findet. Es gilt nicht nur, stimmungsvolle
Harmonien zu finden, man muss auch die
Valeurs jedes Accordes aufs feinste wissen und
den natürlichen Weg vom einen zum anderen
kennen. Es gilt nicht nur, das Orchester
wirkungsvoll zu setzen, sondern man muss aus
dem Geiste der Instrumente alles erklingen
lassen. Blech- und Saiten-Instrumente, in enger
Lage zusammengedrückt, geben dem Ganzen
ein herbes Colorit, allein es ist mehr Schall
als Klang. Die feinere Nuancierung fehlt.
Nicht nur Technik allein, auch Temperament

allein schafft kein echtes, volles Kunstwerk.
Natur und Kunst, Kraft und Geist müssen sich
verbinden; eines muss das andere tragen.
Schließlich gibt es ein Alter und eine Zeit,
in welcher das Temperament an Kraft ver-
liert; dann schwindet auch einer solchen Kunst
die innere Energie; während durchgebildete
Meister mit Zeit und Jahren immer höher
steigen, immer mehr an Reichthum und Weite
gewinnen, da die Technik die Phantasie gleich-
sam warm hält. Große Künstler haben diese
Lehren auf der Höhe ihrer Kraft gefunden.
Goethe verkündet sie im »Wilhelm Meister«.
Beethoven ruft sie seinem erzherzoglichen
Schüler zu (la musica merita esser studiata),
Wagner commentiert sie im dritten Act der
»Meistersinger«. Wir, die über die Reinheit
der Kunst zu wachen haben, müssen sie stets
aufs neue wiederholen; Sache der Künstler ist
es, sie ins Schaffen und ins Leben zu über-
führen. So heißt es denn warten und ver-
trauen Die Aufführung in der Oper unter
Leitung Mahlers war voll feinster Kunst.
Herr Schmedes wird im Ausdruck edler,
kindlicher Heldenhaftigkeit immer vollkomme-
ner, Fräulein von Mildenburg an innerer
Energie immer reicher. M. G.

RUNDSCHAU.

SECESSION. — Das Mackintosh-
Zimmer
ist der vorgeschrittenste aller
bisherigen Versuche auf dem Gebiete
moderner Innen-Einrichtung. Dies beweist
unter anderem die geärgerte Verblüffung
des Publicums und seiner journalistischen
Wortführer. Hier versöhnen sich alle Gegen-
sätze, einigen sich Amerika und die Buko-
wina; ihre Abneigung gegen Mackintosh
stammt aus dem richtigen Gefühl, in ihrem
Unentbehrlichsten bedroht zu sein: im
Comfort. Die moderne Geistigkeit, welche
sie sich in der »Kunst« endlich gefallen
lassen mussten, kommt ihnen hier bis ins
home nach, und gefährdet die Bequem-
lichkeit daher die Klagen über
»Gespenster-Zimmer« u. dergl. Es liegt
christliche Stimmung in diesem Interieur;
dieser Stuhl könnte einem Franciscus von
Assisi gehört haben. Das decorative
Element ist hier nicht verpönt, sondern

in verinnerlichender und organischer Weise
verwendet. Die innere Wahrheit dieser
Arbeiten, in Holz geleimt, in Metall ge-
trieben, dieser Leuchter, dieser Stühle,
wirkt überwältigend. Die Strenge, Rein-
heit, Einfachheit und Inbrunst dieser Con-
structionen lassen den Gegensatz zwischen
lebendiger Stimmungsgestaltung und jener
erkünstelten Plattheit erkennen, welche uns
an gewissen angeblich modernen Erzeug-
nissen jetzt schon seit Jahren langweilt. Es
offenbart sich hier wieder einmal die
Selbst-Erstehung der Form aus dem Geiste,
dessen Abwesenheit durch äußerliche Mittel
ersetzen zu wollen, lediglich zu neuen
Conventionen führen kann. —.—

MAX MÜLLER. — In einer seiner letzten
Schriften, die demnächst bei Longmans & Co.
in London in zweiter Auflage erscheinen wird*,
führt Max Müller das Leben und die Lehre

* Titel: »Ramakrishna, His Life and Sayings«.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 23, S. 417, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-23_n0417.html)