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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 1, S. 2

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SWINBURNE: DIE DICHTUNGEN DES DANTE GABRIEL ROSSETTI.

von Anmuth und Kraft in der Seele des
Künstlers. So mag ein Werk entstehen,
dessen weicher Ton nicht süßlich, dessen
Mannheit nicht herbe wirkt. Der sicherste
Instinct muss den Künstler vor jedem
Missklang zwischen Idee und Ausdruck
bewahren. Dieser Instinct muss so mächtig
vorwalten, dass in dem Betrachter des
Kunstwerkes keinen Augenblick auch nur
der Gedanke an die Möglichkeit eines
Irrweges des Künstlers wach wird. Mit
scheinbar spielerischer und gleichsam
selbstverständlicher Leichtigkeit hingestellt,
muss das Werk dennoch das Gepräge des
Ernsten und Würdigen durchaus bewahren.
Dieser würdevoll gewichtige Ernst darf
aber keineswegs mühsam geklügelt er-
scheinen; er sei Ausdruck des souveränen
Impulses eines Künstlers, der nur so,
nicht anders gestalten konnte.

Jede dieser Voraussetzungen erfüllt
Dante Gabriel Rossetti vollkom-
mener, denn irgendein englischer Dichter
dieser Zeit. Seine Art vereint Ungestüm
der Impression mit ruhigem Maßhalten
des bewussten Künstlers. Hier ist zugleich
die Grazie höchster Kraft, die Kraft
höchster Grazie! Hier ist Hurtigkeit des
Wassers oder des Lichtes in der Linie
der Darstellung bei steter tiefgründiger
Fülle der Empfindung; hier ist Wucht
mit Zartheit verbunden. Der Falten-
wurf dieser Gedichte ist prächtig; das
Gewebe von außerordentlicher Meister-
schaft. Blumen dort und da scheinen
nicht künstlich hineingestickt, sondern dem
Ganzen organisch entsprungen.

Man behauptet oft von Künstlern
strengen Stils, sie seien bemüht, eine
gewisse innere Theilnahmslosigkeit unter
äußerlich decorativem Prunk zu verbergen.
Dieser Anwurf wird zumeist von solchen
erhoben, denen freilich jener Schimmer
der Rede fehlt, um Gedanken zu über-
glänzen — deren solche Tadler allerdings
niemals habhaft werden. Mögen diese
Schwätzer beweisen, dass Leere des Gefühls
wirklich irgendwo mit solcher Gewalt und
Trunkenheit des Wortes verbunden ward!
Berechtigter scheint das andere Bedenken.
Manche Verse des Dante Gabriel Rossetti
sind in der That so leidenschaftgesättigt,
so zart und tief im Symbol, von einer
solchen gedanklichen Verdichtung, dass

selbst dieses Künstlers durchsichtige Dic-
tion die Gefahr des Schweren und Dunkeln
nicht immer zu vermeiden wusste. Doch
ist er allzusehr Künstler, um sich etwa
irgendeiner gequält-harten Wendung zu
bedienen; gleicht auch seine Dunkelheit
nur der tiefer Quellen, selbst zur Mittag-
stunde, wo die Sonne am stärksten glänzt,
das Wasser am hellsten funkelt, in den
verborgensten Tiefen dieser Quellen ist
weder Schilf noch Schlamm. So das Werk
des Dante Gabriel Rossetti. Nebel scheint
es manchmal zu verschleiern, doch ist es
ein Schleier der flirrenden, flimmernden
Sonne, ein Weben, nicht der Dunkelheit,
sondern des zu vielen Lichtes! Vor dieser
Kunst möge sich nörgelnde Kritik bescheiden.
Alles Leid, alle Lust des Seins webt und
spielt um diese Lieder und Sonette.
Sein »Haus des Lebens« birgt so
viele festliche Prunkgemächer und stille
Kapellen der Andacht, soviel Helles
und Hohes, dass niemand beim ersten
Betreten die wundersame Gliederung
dieses Baues ganz zu überblicken vermag.
Alle Sinne werden von diesem unerhörten
Reichthum der Farben und Töne, diesem
entzückenden Ineinanderspielen beider ge-
blendet. Trotz alledem die strengste Archi-
tektur; nirgends der kleinste kahle Raum;
die Gesammtanlagen noch weit herrlicher,
als das herrlichste Detail. Die Wahl eines
Citats fällt schwer; in diesem Buche ist
beinahe jede Zeile Vollendung. Es sind
die reichsten und reinsten Gaben dieser
Richtung, wenigstens im Englischen; doch
hat auch das Italien Dantes selten gleich
Gerundetes gesehen. Ein goldener Über-
fluss von Bildern und edelsteinfarbigen
Worten, der gleichwohl die schlanke, von
keinem Hehl entstellte, dem Leib einer
Göttin gleich hervorschimmernde Schön-
heit der rhythmischen Gliederung nicht
verdeckt. Die lose aneinandergereihten
Sonette scheint kein Faden der Handlung
zu verbinden; dennoch umfassen sie die
ganze Geschichte der Seele, ihr Anstürmen
gegen das Leben, eine jugendliche Tra-
gödie, ihre elegische, ihre lyrische Zärt-
lichkeit. Ihre mächtige, doch subtile Glut
bringt die Sonette Shakespeares in
Erinnerung, Gedichte, die man freilich
nicht nachzuahmen vermag; auch Rossetti
hat jeden Versuch der Nachahmung ge-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 1, S. 2, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-01_n0002.html)