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mieden. Shakespeare ist oft im Gefühl
heftiger, epigrammatischer in der Ge-
staltung; Rossettis Ausdruck erscheint
daneben gepflegter, weicher, von zarterem
Ebenmaß, in der Grundstimmung bei
aller Leidenschaftlichkeit milder. Die ganze
Schönheit dieser Sonette zu genießen, er-
heischt freilich recht viel Aufrichtigkeit
und Wärme, Muth und Stolz der Seele.
Dann aber wird man sich mit Entzücken
von dem schimmernden Strom seines Ge-
sanges weitertragen lassen — an Blumen-
beeten vorüber, gebadet im Sonnenglanze,
vorbei an Quellen, in Hainen unter grünem
Blätterdach murmelnd, unter Weiden, in
deren schlanken Ästen Vogelsang und die
Stille des Mittags sich zu wundervoller
Musik vermählen.
Aufflackernder Zorn, Reue, jäh er-
wachende Hoffnung und stilles Zukunfts-
vertrauen, Glanz und Glut des Dichter-
traums sind in dieses goldene Haus
gewoben, darin eine Königin thront: die
Liebe. Sorge, die hier erscheint, ist nicht
grau und verschrumpft, sondern von blühen-
der Gestalt, das Blut des Lebens in den
Wangen. Tiefere Innigkeit war nie unter
dem Mantel purpurner Worte verhüllt.
Ich kenne kaum ein Gedicht von solcher
Kraft des visionären Ausdrucks, wie jenes
wundervolle Sonett Rossettis »Lost Days«
oder ein anderes »Vain Virtues« oder
das berühmte »The Suns Shame«, ich
kenne wenige Dichtungen von zarterem
Schmelz, als die Sonette Rossettis, über
deren Pforten die Inschriften stehen:
»New-born Death«, »A Superscrip-
tion«, »A Doak Day«, »Known in
Vain«, »The One Hope«. Die Krone der
Liebeslyrik aller Zeiten werden stets jene
28 Sonette bleiben, Verse von märchen-
hafter Pracht, die uns am Eingang des
Buches entgegenleuchten. Selbstherrlich-
keit und zartestes Sich-Anschmiegen, Trotz
und Demuth, laute und leisere Musik des
bewegten Gemüthes, der Liebe hoher
Ernst und ihre Kindlichkeiten, glühend
bunte Gesichte der Zukunft und die stillen,
grünen Pfade der Erinnerung, Vertrauen
und Zweifel, die Stunden erwachender
und erloschener Sehnsucht, das Wechseln
der Lichter, die um unser Leben spielen,
der Sonne Leuchten um Mittag und das
Weben des bleichen Mondlichtes, Müdig-
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keit und Verzweiflung, dunkle Wildnisse
der Qualen, darin Schatten genossener
und gestorbener Stunden jagen — dies
alles, die ganze Scala der Ekstasen liegt
in dem funkelnden Schrein seiner Verse
verschlossen. Dieses Dichters glühende
Traumwelt ist keineswegs imaginär, son-
dern in Farben und Formen des äußeren
Lebens getaucht. Wie lebendig wirkt das
Sonett »Portrait«, wie lebensheiter, zart
getönt und ungesucht im Symbol erscheinen
die Stücke: »Day of Love«, »Loves
Baubles«, »Life-in-Love«, »The Love-
Move«, »Broken Music«. Das Sonett
»Love-Swetness« ist süß im Ton wie
quellender Honig, dabei voll ernster Nach-
denklichkeit. Das tiefste Wesen der Musik,
jenes geheimnisvolle Seele-Werden des
Instruments hat selbst Shelley nicht
inniger erfasst, als Rossetti in dem Meister-
gedicht »The Monochord«. Andere
Gedichte, wie »Plighted Promise« und
»Love-Lily«, sind von weißer, zitternder
Flamme durchglüht, deren leidenschaftlich
bewegte Linie den besonderen asiatischen
Reiz gewahrt. Die Stanzen-Dichtung
»Sudden Light« ist durch die selbst
bei diesem Dichter ungewöhnliche Wucht
der ersten Strophe ausgezeichnet. Fiebernde
Leidenschaft kennzeichnet das Poem
»Penumbra«; hier wird von Meister-
hand an verschwiegenste Dinge von
Welt und Seele gerührt. »The Sea
Limito«, »A Young Fir-Wood«,
»The Honeysuckle«, »The Wood-
spurge«, diese Stücke sind nicht lied-
artig, sondern reflectierende Poesie, aller-
dings von jener überaus seltenen Art, die
Höhe des gedanklichen Schwunges mit
Fülle der Realität verbindet. Das erste
Gedicht zumal hat die Geschmeidigkeit
und Tiefe bewegten Wassers und den
Ton des murmelnden Sees, wenn der
Wind darüber einschlief. Aus diesen Versen
glaubt man fast den uralten Gesang der
Sphären zu vernehmen:
»Consider the seas listless chime:
Times self it is, made audible:
The murmur of the earths own shell.«
In »The Woodspurge« ist der
Zustand eines durch wilden Schmelz halb
erschlafften, halb bis zur Erbitterung auf-
gereizten Gemüthes mit wenigen Strichen
vollendet gegeben
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