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Wort den Dirnenzug zu finden. Von jähem
Abscheu ergriffen, wie man ihn etwa
empfindet, wenn eine Viper, die man in
der Hand hielt, nach einem sticht, schleudert
er sie von sich; doch selbst in seiner
Sterbestunde — er stirbt an Wunden,
die er im Kampfe für sein Italien erlitt —
wird er von dem lieben Antlitz und dem
unlieblichen Lachen des Mädchens gequält.
Die Lebensfülle und Innigkeit des Ganzen,
die dramatische Bewegtheit im Einzelnen,
das kluge und taktvolle Hineinverweben
des Schicksals, dies alles bildet die kleine
Anekdote zu einer großzügigen Dichtung
aus. Jede Linie wird von der leiden-
schaftlich besonnenen Hand eines Meisters
entworfen, der zumal Frauenschönheit
vollendet zeichnet. Zur Schilderung des
halberblühten Mädchens werden alle Mittel
der bildenden Kunst und der Malerei her-
beigerufen; jeder Strich dient dem Ganzen:
»The underlip
Suckedt in as if it strove to kiss itself.«
Das Gesicht blass, wie es erscheint,
wenn man sich über »bleiches Wasser
beugt«; die Blicke tief, bald müde von
halbgesättigtem Lebenshunger, bald jäh
aufzuckend in neuer Gier:
»As when a bird flies low
Between the water and the willow-leaves,
And the shade quivers till he wins the light.«
Bei wem findet man diese zarte
Schönheit wieder, bei wem dieses reine
Zusammenklingen von anschaulicher Treue
und spielender Grazie? Am entzückendsten
wirkt die kleine Episode von der zer-
brochenen Liebesstatuette, die der Jüngling
seinem Schützling gibt und auf deren
Hand, diese verwundend, zerbricht. Wie
zart ist das, und wie lebensvoll zugleich!
Ergänzt und für immer gekrönt wird das
Gedicht durch den Einleitungsgesang, der
seine Stirne wie der Kranz das Haar der
Braut schmückt; ich bin im Zweifel, ob
man die italienische oder die englische
Fassung als die vollendetere bezeichnen
soll. Diese wundervolle Fähigkeit des
Übersetzens, die Gabe, Wein aus goldenem
in ein silbernes Gefäß zu gießen, ohne
einen Tropfen zu verspritzen, hat niemand
vor Rossetti besessen. Wie sehr man auch
seine Übertragungen Dantes und dessen
Zeitgenossen, Villons und anderer alt-
französischer Balladendichter bewundern
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muss, am höchsten stelle ich doch diese
Übersetzung eines eigenen englischen
Gedichtes ins Italienische. Das Staunens-
werte dieser Leistung wird nur Der völlig
ermessen, der selbst mit der Gewissen-
haftigkeit des Künstlers einen solchen
Versuch wagte. Dies scheint mir höchster
Beweis souveränen Künstlerthums, ein
nicht minderer, als wenn jemand den Reiz
eines von ihm entworfenen Gemäldes in
einem Gedicht desselben Motivs mit
gleicher Vollendung trifft. Der Wohlklang
der italienischen Weise des englischen
Concepts füllt das Ohr des Genießenden
mit unendlicher Süße
Im Gegensatze zu diesem Gedicht
führen wir als Beweis seines vielfältigen
Könnens »The Burden of Niniveh«
an, wieder eine Gedankendichtung in
Stanzen, seine reinste vielleicht, was
Sprachkunst und Weite des dichterischen
Blickes betrifft. Zumal die Strophe von
der Versuchung des Herrn hat den Ton
erdenbefreiter Erhabenheit eines Milton-
schen Werkes:
»The day when he, Prides lord and mans,
Shewed all earths kingdoms at a glance
To Him before whose countenance
The years recede, the years advance,
And said, Fall down and worship me: —
Mid all the pomp benath his look
Then stirred there, haply, some rebuke
Where to the wind the salt pools shook,
And in those tracts, of live forsook,
That knew the not, o Niniveh!«
Eine bestimmte Gruppe der Schöpfungen
Rossettis, des Dichters und Malers, kann
man unter dem Gesichtspunkt der »Hei-
ligen- und Legenden-Kunst« betrachten;
eben diese Gruppe umfasst den vielleicht
eigenartigsten und reizvollsten Theil seines
Werkes. Die Art seines religiösen Em-
pfindens ist ihm ganz eigentümlich, mit
der keines anderen Künstlers vergleichbar;
sie ist specifisch christlich, d. i. katholisches
Christenthum. Protestantischer Glaubens-
eifer fehlt ihm völlig, ihm fehlt die heut-
zutage gang und gebe Neigung zum
Schielenden und Halben, die sich ein
bequemes und darum populäres Com-
promiss-System unter dem Locknamen eines
»liberalen Christenthums« hergerichtet hat.
Dieses Künstlers Christenthum hat nichts
mit »liberal-christlicher« Anschauung, die
sich in Werken, wie »In memoriam«
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