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brutal, überzeugend wie ein Musiker und
künstlich wie eine Courtisane, ein Mensch
von echtem philosophischen Tempera-
ment, mit einer bei Engländern seltenen
Leidenschaft für das Abstracte, und doch
wiederum Einer, der am Leben vor anderen
und auch vor sich selbst — und nur das
entscheidet in diesem Falle — gefallen
war. Wer seine Schriften gelesen hat,
kennt seine Vorliebe für Paradoxe, aber
Oskar Wilde war auch paradox, wenn er
nicht in Paradoxen sprach.
Ich habe in Paris Freunde, die ihn
in seiner glücklichen Zeit vor der Affaire
oft sahen. Er muss einzig gewesen sein
als Erzähler, und die ihm zuhören konnten,
sagen, alles, was er geschrieben habe, sei
wenig, sei schattenhaft gegen die kleinen
Märchen und Poems, in Prosa gehalten, die
er während eines Dîners, im Café oder
beim Spazierengehen improvisierte. Ein
Wort, das er oft in seine Erzählungen
verflochten haben soll, klang mir nach,
als ich eines Abends auf den großen
Boulevards in einer der ausgerufenen
Zeitungen die kurze Nachricht von seinem
Tode las, das Wort: Pas le bonheur, mais
le plaisir. Sein Sinn wurde mir da plötz-
lich lebendiger: Der Tod eines Hedonikers!
Es ist doch merkwürdig, wie für uns der
Hedoniker erst Bedeutung gewinnt, sein
Sinn sich gleichsam erst bildet, ein Bild
wird, wenn wir erfahren haben, dass er
gestorben ist. Das Leben Aristipps ist
antik, sein Tod — das ist schon christlich.
Pas le bonheur, mais le plaisir, aber der
das gesagt hat, hat viel über das Glück
nachgedacht, bevor er das Vergnügen
genoss. Denn Oskar Wilde war wirklich
parodox und nicht nur ein Theil seines
Lebens war es.
An Orten rohester Vergnügen und
greller Gemeinheit finden wir oft Menschen,
die voll lichtloser Einsamkeit sind und
deren Seele schwer ist vom Blute unheil-
barer Wunden. Sie sind nicht da, um
sich zu betäuben, vielmehr, um sich zu
bestimmen, abzugrenzen. Unsere Grenzen
und Bestimmungen gehören uns nie selbst
an. Ihr Schmerz zieht so weite Kreise,
dass er das Gemeinste und Fernste nur
ausschließt, und was sie thun, berührt
und stört nicht ihr Inneres, liegt jenseits.
In sich selbst, bei sich finden sie alles
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dunkel, unbegrenzt, bestimmungslos und
doch vom Leiden genannt, erfahren, in
recht eigentlichem Sinne verleidet, ohne
Halt für neue Gedanken und sinnlos neue
Worte, und was sie thun, ist wider ihren
verborgenen Sinn, widersprechend, para-
dox. Sie sind schamlos aus übergroßer
Scham. Dann gibt es andere Menschen,
die so glücklich sind, dass jedes Mitleid
und jede Dankbarkeit ihnen fremd bleibt.
Ihr Glück ist, als hätte es ihnen jemand
anvertraut, es ist das Glück, das bis ans
Ende aller fremden Dinge reicht und
sie wie eine stumme Bestimmung be-
herrscht; das Glück der Einbildungskraft
und alles, was wir als Einbildungskraft in
uns tragen, ist, als wäre es uns anver-
traut worden, herrscht über uns und wir
sind seine Wärter. Wiederum gibt es
Menschen, die so rein sind, dass keine
Sünde sie befleckt, und andere, die so
wissend sind, dass keine Thorheit sie irre-
macht. Und aller dieser Menschen Mit-
leidlosigkeit, Schamlosigkeit und Thorheit
sind paradox, wie Anderen Worte paradox
werden, wenn ihr Schweigen schon die
Weisheit der Dinge erschöpft hat, und
Denen, die überall nur die Schönheit und
das Leben schauen, das Hässliche und
Gestorbene paradox erscheint, wenn sie es
sehen.
Das Paradoxe! Ich kann nicht sagen,
es sei niemals das Product der Moral.
Unter Moral verstehe ich alles, was das
Handeln am Nächsten ordnet. Für Kierke-
gaard war es wohl der weiteste und bün-
digste Ausdruck der christlichen Moral,
aber die christliche Moral, die nicht die
Moral der bestehenden »Christenheit« ist,
war für diesen großen Menschen und
herrlichsten Denker eine Moral der Ein-
bildungskraft, die Ethik des Genies. Wil-
liam Blake hätte in seiner mystischen
Unerschrockenheit dort, wo Kierkegaard
mit bestem Wissen noch schwieg, schon
gesagt: Jeder Christ ist ein Genie. Das
wäre sehr wahr gewesen, denn wirklich
und ohne Bild — die Wahrheit ist immer
das Bild der Wirklichkeit — das Genie
ist paradox und das Paradoxe ist christlich
und nicht antik. Sokrates war sein erster
Verkünder und sein erstes Opfer, nein,
nicht Opfer, sondern Beispiel. Wir sind
Opfer des Lebens, aber Beispiele des
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