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Also geht der »Held« — und das ist
die dritte Möglichkeit — doch wohl an
seiner eigenen Schwäche zugrunde?
Das wäre in der That sehr schön, denn
damit könnte der Ausgang eines wahrhaft
tragischen Schicksals gegeben sein. Aber
dem ist wieder nicht so oder doch
nur ganz theilweise so. Der Held
wird uns vielmehr als willensstarker
Mensch vorgeführt, als Muster eines
strammen Soldaten, als respectierlicher
Mann, der Kraft genug hat, ein excep-
tionelles Mädchen zu lieben, und Bruta-
lität genug, diese Liebe frisch-fromm-frei
fahren zu lassen — auf den simplen
Schimmer einer groben Verdächtigung
hin — ohne den geringsten Versuch, die
urplötzliche Denunciation, den Treubruch
zu ergründen, als ein Mann und Gemüths-
mensch, der aus Schmerz zu saufen, zu
spielen beginnt, aus Schmerz eine Com-
mercienraths-Tochter (auch mit diesem
Requisit hantiert Hartleben!) erschachert
und schließlich im Augenblicke der höchsten
Gefahr den heroischen Wagemuth hat,
das denuncierte Liebchen — den Spionen
und Lockspitzeln zum Trotz — auf offenen
Wegen in seine Wohnung (das heißt
irgendwie auf die Bühne) kommen zu
lassen. Die Schwäche des »Helden« kommt
lediglich darin zum Ausdruck und wird
lediglich dadurch motiviert, dass er gute
Gedichte macht, artig Harmonium spielt
und einer langwierigen Nervenkrankheit
zum Opfer fällt (Krankheit an sich ist
niemals tragisch, auch dann nicht, wenn
Liebesgram als causa morbi den mil-
dernden Umstand spielt). Also liegt »das
große, gigantische Schicksal, welches den
Menschen zermalmt, wenn es den Menschen
erhebt«, auch nicht in der Brust dieses
»Helden«.
Nach Hamlet und Hjalmar werden
sich noch viele Dichter-Generationen
vergeblich in dem Versuch erschöpfen,
Analoges in ähnlich grandioser Gewalt auf
die Bühne zu stellen. Doppelt gefährlich
aber war es, durch das Officiers-Milieu
über die »Minna« hinweg an Lessings
dramaturgische Wahrheiten und namentlich
an die kühnen »Soldaten« des vielver-
kannten Reinhold Lenz zu erinnern, der
— nebenbei Begründer des modern-rea-
listischen Charakterdramas — die alte
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(vergessene) Erkenntnis verfochten hat,
dass sich die Handlung aus den Charak-
teren und nicht vice-versa zu entwickeln
habe.
Aber: neben den Stücken, die an den
Schwächen ihrer Dichter zugrunde gehen,
gibt es Stücke, die durch die Schwächen
ihrer Dichter zur Höhe gehen. So lehrt
verschiedentlich die Erfahrung, die nun
neuerdings durch Hartlebens Drama be-
stätigt wird. Der Mangel an Kühnheit
war, wie immer, ein sehr begünstigendes
Moment auf diesem Höhenwege. Zudem
sieht sich hier das bürgerliche Publicum
vor die geräuschvolle Buntheit des preußisch-
militärischen Casinolebens gestellt (dessen
Exclusivität durch die compromittierendsten
Milieuschilderungen bestraft wird) und
bleibt einen ganzen Abend lang in dem
wohlthuenden Gefühl einer Superiorität
befangen, das sich autosuggestiv mittheilt
und jene satte moralische Befriedigung
erzeugt, die niemals ihre Wirkung ver-
fehlt hat: »Seht, wir Philister sind doch
bessere Menschen; über so beschränkte
Standesvorurtheile, wie sie da oben auf
der Bühne grassieren und Menschenopfer
fordern, sind wir schon lange hinaus.
Liberalität und Aufklärung, ihr Herren
Officiere, das ist es, was euch noth thut!
Das Portepée, die viereckigen Schultern,
die Schnarrmechanik eures Kehlkopfs —
wie sollte uns dies imponieren, da doch
vielmehr die Civilcanaille, die ihr gering-
schätzt, ein Recht hat, eure Verworfen-
heit zu verachten.« Zu dieser poetischen
Gerechtigkeit (die »poetische Gerechtig-
keit«, lehrt die Schulästhetik, ist von den
Dramatikern erfunden worden, um das
Publicum über die ausgleichende Sittlich-
keit der Weltordnung zu beruhigen) gesellt
sich die Beliebtheit des Problems: Leben
Spiel oder Traum, Traum und Spiel
Leben, das von Schnitzler und Hof-
mannsthal über Grillparzer und Calderon
bis zu den Religionsphilosophien der alten
Chinesen und Inder führt. Dazu eine
Felix Philippi’sche Scenenführung, die den
Zuschauer überrumpelt, ohne ihn im
Innersten zu zwingen, dafür aber äußerlich
umso drastischer packt; endlich die durch-
aus vollkommene, in sich geschlossene
Mise-en-scène des Burgtheaters — und der
Cassenerfolg des überlaut gepriesenen
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