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Über Auguste Rodins Zeichnungen
sagt Roger Marx u. a. Folgendes: Rodin
bemächtigt sich der Form, verwandelt
sie nach seinem Willen und belebt sie
mit seinem Hauche. Seine Kunst ist Natur
und zugleich Wunder, weil sich in
ihr das Spirituelle und Plastische voll-
ständig durchdringen. Er hat das Werk
Gottes gleichsam von neuem begonnen
und die Welt aus seiner ungemessenen
und leidenden Seele neu geformt. Durch
Intuition und auch durch Überlegung
ist es Rodin gelungen, die fundamentalen
Grundvorschriften der Künste zu entdecken,
und zu gleicher Zeit hat ihm die unauf-
hörliche Erforschung des Sichtbaren den
Plan, Basis aller Schöpfung, klargelegt.
Sein Genie steht auf der vollbesessenen
Kenntnis der Constructionen. Dieser
ist das Gelingen der verschiedensten Arten
von Modellierungen zuzuschreiben, sei es
in Relief, Ton oder Strich. Sie verleiht un-
endlichen Wert den unmittelbarsten Kund-
gebungen Rodin’schen Geistes, seinen
Zeichnungen. Im Verlaufe dieser oft
flüchtig hingeworfenen Notierungen kenn-
zeichnen sich keimhaft die zahlreichen
Verheißungen, welche seine Sculptur zu
erfüllen sucht. Er ist ebensosehr
Zeichner als Bildhauer; wenn er einer-
seits das Körperliche aus der Bewegung
zu entwickeln weiß, beherrscht er auch
die Werte der Linien und die Wirkungen
der Beleuchtung. Er kennt die Gewalten
und Süßigkeiten des Lichtes, er benützt
es zum Bau der Form, zur Stärkung und
Charakteristik. Schwerlos zeigt uns die
Zeichnung den wahren Rodin, sein rast-
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loses Suchen und die wunderbaren Ent-
deckungen dieses Gehirns, immer schwanger
und im halb Unbewussten der Conception.
Auf diesen Blättern erkennen wir die
Tiefe, aus der dieser Geist ragt. In
der Ekstase der Hallucination hat sich
ihnen die Vision des künftigen Werkes
mitgetheilt. Einige Züge, Lichter und
Schatten, und schon hebt sich die Gestalt
aus den Nebeln, verkörpert sich in der
Form und wird zur Anschaulichkeit ge-
boren. — In seinen letzten Statuen hat
Rodin ein halbes Jahrhundert von Denk-
arbeit, Fortschritten, fortwährender Selbst-
befreiungen verwendet. Man hat ihn,
stark durch Erfahrung, die letzten Bande
brechen und zu den von den ältesten
Meistern geweihten Vereinfachungen ge-
langen sehen. Seine graphische Arbeit
hat sich gleichgerichtet entwickelt; heute
vollendet sie sich zur letzten Synthese. So
schließt sich mit Rodin der Ring, Gegen-
wart und Vergangenheit verschmelzen, und
die Inspiration, gereift durch Erfahrung,
naht wieder ihren immer lebendigen
Quellen: durch die Darstellung des Ein-
fachsten, der Haltung und Geste hindurch
bekundet sich in der Rhythmen der Körper-
lichkeit das Mysterium der Bewegung.
Kant contra Haeckel.* Erkennt-
nistheorie gegen naturwissenschaftlichen
Dogmatismus. Von Prof. Dr. Erich
Adickes (Kiel). Diese Schrift verdient
ihrer Klarheit wegen aus der Welt-
räthsel-Literatur hervorgehoben zu werden.
Adickes weist nach, dass die Haeckel’sche
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