|
alle Leidenschaft hat sich verloren, so dass
dem Körper nichts mehr übrig bleibt,
als zu sterben.
Jetzt wenigstens, Ulysses, sage mir,
dass um meines treuen Blutes willen
der dunkle Zeus befriedigt den Griechen
den Sieg gewähren werde, dass ich
furchtlos dafür sterbe; wirst du es ihnen
wenigstens sagen, Ulysses? Das wirst
du doch!
Ulysses: Kind, du sollst nicht
sterben. Lächle nicht! Jetzt werd’ ich’s
dir sagen. Höre mich, ohne mich zu
unterbrechen. Möge es den Göttern
gefallen, dass das Opfer eines von
uns beiden sie befriedige. Das, was
wir hier thun wollen, Neoptolemos, ist
leichter als sterben
Diese Insel, die dir verlassen scheint,
ist es nicht, ein Grieche bewohnt sie;
er heißt Philoktet und dein Vater
liebte ihn. Einst hatte auch er sich
mit jener Flotte, die hoffnungsvoll und
stolzgebläht von Griechenland nach
Asien segelte, eingeschifft; er war des
Herkules Freund und einer der Edlen
unter uns; wenn du nicht bis jetzt fern
vom Lager gelebt hättest, würdest du
seinen Namen wissen. Wer bewunderte
nicht seinen Muth? Wer hieß diesen
nicht später Waghalsigkeit. Er trieb
ihn nach dieser unbekannten Insel, vor
der unsere Ruder stillehielten. Der An-
blick der Ufer war merkwürdig; böse
Sprüche hatten unseren Muth verwirrt.
Die Götter hießen uns, so sagte Kalchas,
auf dieser Insel opfern; jeder von
uns erwartete, dass ein anderer ab-
steige, bis Philoktet lächelnd sich
anbot. Am Strande der Insel nun biss
ihn tückisch eine Schlange und lächelnd
zeigte er uns später auf dem Schiffe
die kleine Wunde am Fuße. Doch
sie wurde schlimmer. Philoktet hörte
auf, zu lächeln; sein Gesicht wurde
bleich und seine verstörten Blicke waren
voll unsäglicher Angst. Nach einigen
Tagen schwoll sein Fuß an und starb
ab, und Philoktet, der bisher nie
geklagt hatte, fieng an, jämmerlich zu
stöhnen. Zuerst war jeder beflissen, ihn
zu trösten und zu zerstreuen; doch
nichts half, man hätte ihn heilen müssen;
und als sogar die Kunst des Machaon
|
hier nichts mehr vermochte — auch
unser Muth litt unter seinem Schreien
— da ließen wir ihn zurück auf der
ersten Insel, auf die wir stießen, ihn
allein mit seinem Bogen und den Pfeilen,
deretwegen wir jetzt hier sind.
Neoptolemos: Wie! Allein! Ihr
ließt ihn allein, Ulysses?
Ulysses: Und nun? Wenn er hätte
sterben müssen, so würden wir ihn,
glaube ich, noch einige Tage hüten
gekonnt haben. Aber nein — seine
Wunde war nicht tödtlich.
Neoptolemos: Und dann?
Ulysses: Hätten wir den Muth
eines Heeres dem Leiden und den
Klagen eines einzigen Mannes opfern
sollen? Man sieht wohl, du verstehst
das noch nicht!
Neoptolemos: Seine Schreie waren
also schrecklich?
Ulysses: Nicht schrecklich, aber
klagend, mit Mitleid unsere Seelen be-
feuchtend.
Neoptolemos: Einer doch hätte
mit ihm bleiben, über ihn wachen
können. Was kann er hier machen,
krank und verlassen?
Ulysses: Er hat seinen Bogen.
Neoptolemos: Seinen Bogen?
Ulysses: Ja, den Bogen des Her-
kules. Und dann, Kind, muss ich dir
sagen: sein faulender Fuß verbreitete
im ganzen Schiffe einen unerträglichen
Gestank.
Neoptolemos: So!
Ulysses: Ja, und dann war er
ganz von seinem Leiden eingenommen
und unfähig, sich je wieder der Sache
der Griechen zu widmen.
Neoptolemos: Umso schlimmer.
Und wir, Ulysses, wir kommen
Ulysses: Höre noch einmal, Neop-
tolemos: Du weißt, wieviel Blut, Tugend,
Geduld und Muth vor Troja, das schon
lange gerichtet ist, verschwendet wurde;
die Hallen und das theure Vaterland
liegen verlassen Nichts von alledem
hat genügt. Durch Kalchas, den Priester,
haben die Götter endlich erklärt, dass
nur der Bogen des Herkules und seine
|