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Philoktet: Wohin ich auch gehe,
immer bin ich ein Sohn Griechenlands.
Ulysses: Aber du hast ja nieman-
den, mit dem du sprechen könntest.
Philoktet: Ich sagte dir es ja; hast
du mich nicht verstanden? Ich drücke
mich besser aus, seitdem ich nicht
mehr zu Menschen spreche. Zwischen
der Jagd und dem Schlafe ist meine
Beschäftigung das Denken. In der Ein-
samkeit und wenn nichts, auch der
Schmerz nicht, sie stört, dringen meine
Gedanken so tief, dass oft nur mit
Mühe ich ihnen zu folgen vermag. Vom
Leben weiß ich jetzt mehr Geheimnisse,
als alle meine Lehrer mir zu enthüllen
vermocht hätten. Meine Schmerzen, ich
fieng an, sie mir zu erzählen, und je
schöner der Satz mir wurde, umso-
mehr fühlte ich mich erleichtert; ja oft
vergaß ich selbst mein Leiden und
nur, weil ich es sagte. Ich fieng an, zu
verstehen, dass die Worte erst schön
werden, wenn sie nicht mehr Fragen
zu dienen haben. Und da um mich
nicht Ohren und Mund waren, so hatte
ich von den Worten nicht mehr als
ihre Schönheit: ich schrie sie über die
ganze Insel, den Gestaden entlang, und
die Insel, die mich vernahm, schien
mir weniger verlassen; die Natur glich
meinem Leid, und es war mir, als wäre
ich ihre Stimme und als warteten auf
sie die stummen Felsen, um ihre
Krankheiten sich zu erzählen. Denn
ich begriff, dass um mich herum alles
krank war dass diese Kälte um
mich nicht in der Ordnung sei, ich
dachte ja an Griechenland Und so
wurde mir es langsam Gewohnheit,
mehr den Schmerz der Dinge, als den
meinen zu rufen; und ich fand es so
besser; wie soll ich dir s anders sagen?
Die Trauer war dann wenigstens überall
die gleiche und schon das tröstete mich.
Und so geschah es mit der Zeit, dass
ich meine schönsten Sätze sprach, wenn
ich vom Meere und den unbegrenzten
Wogen sprach. Soll ich dir’s sagen,
Ulysses! — Ulysses! — einige Sätze
waren so schön, dass ich vor Trauer
aufschluchzte, weil kein Mensch sie
hören konnte. Seine Seele, schien es
mir, hätte müssen anders werden.
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Horch, Ulysses, horch! Man hat mich
noch nicht gehört.
Ulysses: Du hast dich, wie ich
sehe, gewöhnt, zu sprechen, ohne dass
dich jemand unterbricht. Also, sage den
Vers.
Philoktet (declamierend): »Unend-
liches Lächeln der Wogen des Meeres «
Ulysses (lächelnd): Aber Philoktet,
das ist ja von Äschylos.
Philoktet: Vielleicht das geniert
dich ? (Den Vers wieder aufnehmend:)
»Unendliches Schluchzen der Wogen
des Meeres « (Er schweigt.)
Ulysses: Und
Philoktet: Ich weiß nichts mehr
weiter ich bin verwirrt!
Ulysses: Umso schlimmer! Ein
anderesmal wirst du es fortsetzen.
Neoptolemos: O fahre doch fort,
Philoktet!
Ulysses: Sieh’ nur! Das Kind hat
dir zugehört!
Philoktet: Ich weiß nichts mehr
zu sagen.
Ulysses (erhebt sich): Ich lasse dich
einen Augenblick, deine Gedanken zu
finden. Gleich bin ich wieder da!
Aber sage, es gibt doch keine Gefangen-
schaft, die hart genug wäre, nicht auch
ihre Ruhe, ihr Vergessen, ihren Auf-
schub zu haben?
Philoktet: Ja, Ulysses! Einmal
fiel ein Vogel, auf den ich geschossen
hatte; mein Pfeil hatte ihn nur ver-
wundet, und ich hoffte, ihn wieder zu
beleben. Aber wie hätte ich ihm erhalten
sollen das Gefühl der Luft und alles,
was in ihm flog, über die Erde hinflog,
wo die Kälte dem Wasser selbst, wenn
es gefriert, die Form meiner logischen
Gedanken gab. Der Vogel starb; ich
sah ihn eine ganze Stunde lang sterben;
um ihn noch einmal zu erwärmen, er-
stickte ich ihn förmlich mit Küssen und
mit meinem Athem. Er starb, weil er
nicht fliegen konnte
Ja, Ulysses, es scheint mir sogar,
als werde selbst der Strom meiner Poesie
zu Eis, sowie er aus meinen Lippen
sich ergossen, und als sterbe er aus
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