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Furcht, sich nicht verbreiten zu können,
und als würde die geheime Flamme
immer dünner, die ihn belebt. Wenn
ich noch weiterlebe, werde ich bald
ganz abstract sein. Die Kälte, Ulysses,
dringt in mich, und ich erstaune, denn
selbst hier und gerade in ihrer Strenge
finde ich eine Schönheit.
Sicher schreite ich über die Dinge
und alles Flüssige, das hart geworden
ist. Ich träume nicht mehr, ich denke
nur noch. Ich liebe die Hoffnung nicht
mehr und bin darum niemals mehr
berauscht. Wenn ich auf diese Stelle
hier, wo alles harter Stein ist, etwas
lege — ein Samenkorn zum Beispiel —
lange nachher finde ich noch dasselbe;
es hat nicht gekeimt. Hier gibt es kein
Werden, Ulysses; alles verweilt. Hier
wenigstens kann man denken. — Ich
habe den todten Vogel aufbewahrt;
hier; er kann nicht faulen, die Luft
ist zu kalt. Und auch meine Handlungen,
meine Worte bleiben, als wären sie
gefroren, und umgeben mich wie ein
Kreis von Felsen, die ich hingestellt
habe. Und wenn ich sie da jeden Tag
wiederfinde, da schweigt jede Leiden-
schaft, ich fühle die Wahrheit immer
mehr — auch meine Handlungen wollte
ich immer sicherer und schöner; so wahr,
rein, krystallen; so schön — so schön,
Ulysses, wie jene Eiskrystalle, in denen
die Sonne, wenn sie durchscheint, in
ihrer Fülle erscheint. Keinen Strahl des
Zeus will ich ableiten; er dringe durch
mich, Ulysses, wie durch ein Prisma,
und das also gebrochene Licht mache
meine Handlungen verehrungswürdiger!
Ich möchte zu größter Durchsichtigkeit
gelangen und alles, was in mir dicht
und dunkel ist, verlieren; ich möchte,
dass du selbst das Licht fühlst, wenn
du mich handeln siehst
Ulysses (scheidend): Ich muss gehen.
(Auf Neoptolemos weisend:) Sprich mit
ihm, da er dich gerne hört. (Er geht fort.
Schweigen.)
2. Scene.
Philoktet und Neoptolemos.
Neoptolemos: Philoktet! Lehre
mich die Tugend
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III. Act.
1. Scene.
Philoktet (tritt auf).
Philoktet (verwirrt durch die Über-
raschung und den Schmerz): Blinder Phi-
loktet! Erkenne deinen Irrthum und
weine über deine Thorheit! Dass du
Griechen wiedergesehen hast, das hat
dir dein Herz bezaubern können
Habe ich recht verstanden? Ganz
richtig: Ulysses saß hier und neben
ihm Neoptolemos; sie dachten mich
fern und senkten daher nicht einmal
die Stimme. Ulysses gab Neoptolemos
Rathschläge und lehrte ihn, mich zu
verrathen; er sagte ihm Unglück-
licher Philoktet, um dir den Bogen
zu rauben, sind sie zu dir zurück-
gekehrt! Wie sie ihn nöthig haben
müssen! Kostbarer Bogen, das
Einzige, das mir blieb, und ohne den
(Er horcht.) Man kommt! Vertheidige
dich, Philoktet! Dein Bogen ist gut,
dein Arm ist sicher! Tugend, Tugend,
ich hatte dich so lieb, als du einsam
um mich warst! Mein schweigsames
Herz hatte, fern von ihnen, sich beruhigt.
Ach, jetzt weiß ich, was die Freund-
schaft wert ist, die sie mir vorschlagen.
Ist dies Griechenland, mein Vaterland?
Ulysses, den ich hasse, und du,
Neoptolemos ! Wie dieser mir zu-
hörte! Wie zart er ist! Kind — auch
schön bist du, schöner, als selbst dein
schöner Vater! Wie kann eine so reine
Stirn einen solchen Gedanken verbergen?
»Die Tugend,« sagte er, »Philoktet,
lehre mich die Tugend!« Was sagte
ich ihm? Ich erinnere mich nur seiner
Und wie gleichgiltig ist, was ich ihm
hätte sagen können! (Er horcht.)
Schritte? Wer kommt? Ulysses! (Er
ergreift seinen Bogen.) Nein, es ist Neopto-
lemos! (Neoptolemos tritt auf.)
2. Scene.
Philoktet und Neoptolemos.
Neoptolemos: Philoktet! (Er
bemerkt ihn.) Ach! (Er nähert sich, und als
vergienge er:) Ach, ich bin krank
Philoktet: Krank?
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