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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 3, S. 75

Text

RUNDSCHAU.

Richard Strauß. — In Richard
Strauß, von seinen Anhängern unverweilt
als Bahnbrecher hingestellt, mag der un-
beeinflusste, aufmerksame und denkende
Zuhörer ein schwer zu enträthselndes
Problem erblicken. Das ist wenigstens
der Eindruck, den er in jenem Concert
gewinnen mochte, welches hier vor einigen
Tagen unter der Leitung des Componisten
stattfand. Bis jetzt hatten wir mittel-
mäßige oder außerordentliche Musiker;
aber was sollen wir von Strauß halten,
der uns an einem und demselben Abend
mit orchestrierten »Selbstgesprächen« lang-
weilt, deren Willkür nicht Drang ist,
sondern unverkennbare Absicht — der
uns Lieder von einer so flachen Gefällig-
keit bringt, dass ein Gounod davor zurück-
scheuen würde — der uns aber mit einer
Tonschöpfung wie »Ein Heldenleben«
nach langwierigen Preambulen zu wahr-
haft himmlischen Höhen erhebt?

Waren wir noch eben von tiefem
Überdruss erfüllt über die Nutzbarmachung
eines so monumentalen Stiles zu so
geringem inneren Gehalt, so ist es nun
plötzlich, als weitete und vertiefte sich
der selbstgefällige Blick, der aus diesen
Werken spricht — denn auch die Werke
haben Augen — zu erhabenstem Ausdruck!
Als sei er mit einemmale allem Erden-
dünkel, allen falschen Ich-Begriffen abge-
wandt, allen philosophischen Missver-
ständnissen entrückt und strahle als das
Auge eines wahren und großen Geistes
lichter Erkenntnis und Unendlichkeit zu.
Es ist bedauerlich, dass eine so geniale
Begabung ihr Element in jener »cerebralen«
Musik findet, die nicht Wille ist und
Notwendigkeit, sondern Willkür und In-
tellect, die immer sucht, fordert und er-
zwingt, aber, aller Ursprünglichkeit bar,
in unorganischer Weise Literarisches ge-
waltsam zur Musik transponiert.

A. KOLB.

Peter Altenberg: Was der Tag
mir zuträgt
. 55 neue Studien. Berlin,
S. Fischer, 1901. Vieles in diesem Buche
ist Stimmung, Einiges aber nur Illusion;
man soll aber Illusionen zu stimmen
wissen, das ist dann Kunst. So besteht
denn das Buch für mich aus zwei
Theilen; der eine ist Ansicht, der
andere Anschauung, Stimmung, Dich-
tung. Von dem ersteren will ich schweigen,
von der Schönheit der Dichtung möchte
ich laut reden, wenn ich Raum hätte.
Es ist Dichtung im reinen und neuen
Sinne. Der Dichter als Schöpfer der
Seelen und die Menschen als Acteure
seiner Dichtung! Die Dichtungen, die sie
spiegeln, sind ihre Seelen, die sie ver-
bergen! Das ist beinahe aller Dichtungen
Wunsch, bei Peter Altenberg ist es aber
ihr Sinn, ihre Seele, ihre Formel, ihr
2 × 2 4, wie er sagen würde. Die Seele

seiner Menschen ist die Formel der Dich-
tungen, die sie leben, und Peter Alten-
bergs Bücher gehören zu den wenigen,
bei welchen man von Seele sprechen
darf, ohne über die Nacktheit dieses Wortes
zu erröthen. Vieles ist in seinen Studien
von prachtvoller Nacktheit, es ist, wenn
man mich versteht, die Nacktheit der
Schatten. Da spreche mir einer noch von
dem Griechischen in Peter Altenberg!

r. k.

L. Ysaye: Zwischenspiele in Ver-
sen
. (Wiener Verlag.) — Das neuerdings
häufigere Auftreten des absoluten Dialogs
ist bemerkenswert als Symptom der vor-
schreitenden Krise der Ausdrucksmittel.
Es dürfte nachgerade nutzlos sein, den
Krach der Formen verheimlichen oder
aufhalten zu wollen. Mögen zwar auch

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 3, S. 75, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-03_n0075.html)