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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 6, S. 118

Text

DIE GEHEIMNISSE DER BLUMEN.
Von AUGUST STRINDBERG (Lund).

Warum haben die Blüten der Pflanzen
im allgemeinen eine andere Farbe als die
Blätter? fragst du, fragselige Jugend.

Ich könnte dir auf mannigfache Weise
antworten und könnte die Frage auch
unbeantwortet lassen, indem ich dir so
antworte: die Butterblume ist gelb, weil
sie gelb geworden ist. Das will sagen:
weil die Butterblume gelb ist, braucht es
keinen besonderen praktischen Zweck mit
dieser Gelbheit zu haben.

Als die Phanerogamen ihre Blätter
oder Schösslinge zu Blütentheilen zu ent-
wickeln begannen, konnte es ja geschehen,
dass diese Anstrengung, die Fortpflanzungs-
organe zu specialisieren, als absichtsloses
Nebenproduct diese Veränderung im Chloro-
phyll oder dem Blattgrün mit sich führte.
Wir sehen ja das Blattgrün des Ahorns
im Herbst gelb und roth werden, ohne
sagen zu wollen, ob es das Vermögen
der Herbstluft ist, mehr Säure anzusetzen,
welche die Ursache ist, oder ob es andere
Ursachen gibt, aber irgendeinen Zweck
in der Farbenänderung spüren wir nicht.

Neue Naturforscher, welche nicht an
einen bewussten Schöpfer und eine ab-
sichtliche Schöpfung glauben, haben ihre
besonderen Meinungen von den pracht-
vollen Farben der Blumen. Einige sagen
nämlich folgendes: die Blumen bedürfen
ihrer feinen Farben, um die Insecten zur
Befruchtungsarbeit anzulocken. Darwin
und viele nach ihm sehen nämlich die
Dazwischenkunft der Insecten für absolut
nothwendig an für das Beilager gewisser
Blumen; und als Stütze für diese Meinung
führt Darwin an, dass er mit einem
feinen Metalldrahtnetz einen Theil eines
Kleefeldes schützte, und dass dadurch das
Stück keinen Samen lieferte. Nun kann
bisweilen der gute Homer sich ein
Schläfchen nehmen mitten in der müh-
samen Arbeit der Eingebung, und ich
möchte versuchen, das Verhältnis ein
wenig näher zu bekräftigen, indem ich auch

die Beweisführung der großen modernen
Autorität in Zweifel ziehe. Das über das
Kleestück gespannte Metallnetz hindert
nicht aller Insecten Dazwischenkunft; es
hindert nicht die eifrigen Ameisen, nicht
die Honig liebenden Rüsselkäfer, vom
Boden selbst in die Blüten einzudringen
und Samenmehl von einem Individuum
auf das andere zu überführen. Also ist
die Gegenwart des Metallnetzes kein Be-
weis dafür, dass nicht Insecten hatten
befruchten können, wenn auch Bienen,
Hummeln und Schmetterlinge ausgesperrt
waren. Und diesen letzten Sommer habe
ich gesehen, wie Gurken unter Glas-
fenstern unter folgenden Umständen be-
fruchtet wurden: die Witterung war kalt
und regnerisch; dem Beet fehlte die
Unterwärme, und als die Blüten aus-
schlugen, wollte ich nicht die rauhe und
feuchte Luft einlassen, sondern ließ
das Beet geschlossen. Da zugleich in-
folge des späten Frühlings ein Misswachs
von Bienen und Hummeln war, sah
ich es nicht für lohnend an, das Fen-
ster aus der Ursache offen zu halten,
zumal ich an die Unentbehrlichkeit der
fliegenden Insecten für die Befruchtung
der Pflanzen nicht glaubte. Ungeachtet
dieser freidenkerischen Störrigkeit wurden
meine Gurken befruchtet. Ich muss aber
bekennen, dass ich Ameisen im Beete
hatte, allzuviele sogar, doch ich sah
sie nicht die Blüten besuchen. Und ich
glaubte auch nicht an die Ameisen; denn
eines vorhergehenden Sommers, als auch
ein starker Misswachs an Bienen und
Hummeln war und meine Gurken im
Juni blühten, gieng ich in den Wald und
holte ein Körbchen Ameisen, welche ich
in das Beet ließ. Ohne sich Zeit zu lassen,
die Honigbüchsen der Blumen zu besuchen,
begannen meine Waldläufer sofort aus-
zuwandern und waren bald verschwunden.

Darwins Metallnetz scheint mir ein
schwaches Gewebe zu sein, das mich

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 6, S. 118, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-06_n0118.html)