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weiteste Entfernung sichtbar. Denke nur
an die Wiese, wo man die Ranunkeln
auf eine Viertelmeile sieht! Denke an das
Raps- und Senffeld! Die gelbe Farbe
würde nach der Insecten-Theorie die vor-
theilhafteste sein für das Bestehen der Art.
Jetzt verwerfen wir die Insecten-
Theorie und prüfen eine andere. Das
Blattgrün geht sehr leicht (siehe das
Herbstlaub) zu Gelb und darnach am
leichtesten zu Roth über! Ist das nicht
einfacher, ohne darum wahrer sein zu
brauchen?
Die Insecten-Theoretiker sollen doch
ein wenig Wasser auf ihre Mühle kriegen,
damit sie nicht verdrießlich werden.
Es gibt im südlichen Europa eine
gewisse Nieswurz oder Helleborus viridis,
die grüne Blüten hat. Die blüht im
Jänner und Februar, wo keine Insecten
draußen sind, also keine lockenden Farben
nöthig wären. Sie kümmert sich nicht
darum, sich zu putzen, da es niemanden
gibt, für den sie sich kleiden könnte.
Doch dies ist wohl nur Poesie, denn
Bellis und Primula, die auch im süd-
lichen Europa zu ungelegener Zeit draußen
sind, sind sehr fein ausgesteuert. Also
kriegen die Insecten-Theoretiker nichts.
Und ich spielte nur mit ihnen.
Und um ihnen nichts zum Festhaken
übrigzulassen, erinnere ich an die andere
Nieswurz, die in Gärten wächst und in
Dänemark Christrose genannt wird, und
welche ich um die Weihnachtszeit im
nördlichen Frankreich habe blühen sehen.
Die hat blassrothe Blüten, beinahe weiße,
sichtlich nicht, um Insecten im Schnee-
treiben anzulocken. Doch, wende ich
selbst ein, wenn sie nun die Nektar-
behälter hat, 12 bis 15 Stück im Kranz
um den Stempel, wozu sollen diese
dienen? Ja, ich glaube nicht, dass die
Blüte, wenn sie auch Verstand besitzt,
hingeht und Honig anlegt für niemanden.
Ich glaube überhaupt nicht, dass die
Blüten bis zu dem Grade geschickt oder
listig sind, dass sie für die Bienen Honig
bereiten. Möglicherweise sind alle Nektar-
einrichtungen nur Drüsen, welche für die
Befruchtung nothwendige Säfte absondern,
analog den Milchdrüsen, die nur während
der Generationsperiode in Wirksamkeit
sind. Oder sind sie doch etwas anderes?
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Helleborus viridis hat grüne Blüten,
vielleicht weil die Sonne während der
Blütenperiode keine Kraft hat, das Blatt-
grün zu verwandeln, zumal die Pflanze
unter Büschen wächst. Denke auch an
den ganzen farblosen anämischen Habitus
von Lathraea squamaria, die ihr sonnen-
loses Leben an Bergeswurzeln hinschleppt,
und welche für die Hypothese spricht:
ohne Sonne keine Farbe. Oder der Blass-
sellerie und der Spargel? Darum sind auch
die Blüten des Waldes, summarisch ge-
nommen, weiß. Die weiße Farbe bei den
Blumen scheint ein Albinismus zu sein,
ein starkes Erblassen aus Mangel an
Licht. Am besten ist dies im Buchen-
walde zu sehen.
Wenn die Buchen nämlich noch bloß
stehen und ein wenig Sonne sich nieder-
lassen kann, da sticht die weiße Anemone
zuerst hervor, dann kommt der weiße
Hasenklee, darauf der weiße Waldmeister,
die weiße Maiblume, das weiße Schirm-
kraut und zuletzt die weiße Einbeere.
Doch unterdessen haben die Buchen aus-
geschlagen. Die grünen, noch durch-
sichtigen Schirme lassen sparsam das
Licht durch, aber wenn die Blätter leder-
artig werden und das Dunkel dicht fällt,
dann ist es mit der Flora des Buchen-
waldes vorbei. Nach dem Mitsommer und
nach der Einbeere liegt die dichte Wald-
matte braun vom Laube des Vorjahres
da, und kaum ein Grashalm wächst
dort mehr.
Im Fichtenwalde treffen wir haupt-
sächlich das weiße Kreuzkraut und die
weiße Linnäe; denn der blaugelbe Kuh-
weizen, der im Walde angetroffen werden
kann, ist eigentlich Bewohner des sonnigen
Hages. Die Preiselbeere des Waldes hat
weiße Blüten wie die Wald-Erdbeere, und
die Blaubeere grüne.
Es gibt wenigstens nicht eine gelbe
Blüte mit der Sonnenfarbe in dem
dunklen Walde. Das hindert nicht, dass
die Doldengewächse der Wiese weiß sind,
denn da scheint der Albinismus sich mög-
licherweise aus der Abschwächung des
Grüns herzuleiten, da die ölführenden
Samen vielleicht alle Kraft rauben, so dass
nichts übrig bleibt zur Hervorbringung
des Luxus: prachtvolle Farbe. Vergleiche
den des Samens halber angebauten Mohn,
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