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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 6, S. 122

Text

STRINDBERG: DIE GEHEIMNISSE DER BLUMEN.

zu dem dunklen Blau entwickelt haben,
könnte man ja Spasses halber sich fragen:
was liegt dahinter? Hat die Sonne etwas
von ihrer Stärke eingebüßt seit der Trias-
und Jura-Periode, als die leuchtende Legion
der Angiospermen ihren Einzug in die
Schöpfung hielten, da die Entwicklung
in der Farbe von Hell zu Dunkel geht?
Hat die Sage von dem Erlöschen der
Sonne hier einen Grund? Und — wandern
wir dem Dunkel zu?

Werden alle Ranunkeln, Rosen und
Nelken einmal blau werden? Oder werden
wir unsere rothen Rosen behalten dürfen,
wenn auch einige blau geworden sind,
wie wir noch Affen haben, obgleich es
Menschen gibt. Wahrscheinlich! Aber ob
sie schließlich schwarz werden, ist nicht
sicher. Schwarz bei den Blumen kann aus
anderen Farben als Blau entstehen. Die
rothe Rose kann so dunkelroth werden,
dass sie in Schwarz übergeht, ohne das
Blau zu berühren. Die Saubohne hat rein
schwarze Flecken auf weißem Grunde
und ihre wilde Verwandte, die wilde
Wicke, hat blaue oder violette Blüten.

Die cyanenblaue Kornblume wird durch
Anbau noch blauer, und ihre Futter-
schuppen haben rein schwarze Kanten
bekommen. Das spricht für das Heran-
nahen des Dunkels.

Wird der Gang der Entwicklung vom
Lichte zum Dunkel schreiten, zu gleicher
Zeit, wie die Pflanzen hinauf zur Vervoll-
kommnung wandern?

Was ist denn Entwicklung, und was ist
Vervollkommnung? Der Weg von dem
Einfachen und Gleichartigen zu dem Zu-
sammengesetzten und Ungleichartigen, sagt
der Evolutions-Theoretiker. Darum stehen
die Lippenblütler und Zusammengesetzten
zuletzt in der Schöpfungskette der Pflanzen,
weil sie die am meisten Zusammengesetzten
sind; aber stehen sie darum am höchsten
in der Vervollkommnung? Ist der Priester-
kragen vollkommener als die Rose? Was
will das sagen? Ist sie geschickter, den
Kampf ums Dasein auszuhalten, als die
Rose? — Keine Antwort!

Vielleicht ist Entwicklung nur Bewe-
gung, vorwärts oder rückwärts, gleich-
giltige Veränderung! Und die Natur-
gesetze nur subjective Wahrnehmungen

unserer ordnungsliebenden Gehirne, die
überall einen Zweck spüren wollen.

Wenn wir sehen, bis wieweit die
historische Entwicklung der Phanero-
gamen mit der der Blütenfarben zusammen-
fällt, werden wir wirklich ein Ungefähr
von Ordnung und Übereinstimmung ge-
wahr, aber so voll von Ausnahmen?

Bereits während der Steinkohlenzeit
beginnen die Phanerogamen sich aus den
Farnen zu entwickeln, sagt Häckel Wort
für Wort. Die erste Gruppe wird Kelch-
blütler genannt und hat Gehäuse und
Krone nicht getrennt. Hieher gehören:
Birke, Erle, Weide, Pappel, Buche, Eiche
und die Nesselarten; ferner Hopfen, Feige,
Maulbeere und die Euphorbien-Arten, alle
wirklich mit grünen oder ungefärbten
Blüten. Die zweite Gruppe oder die der
Kreidezeit mit den hierher gehörenden
Sternenblütlern: Cruciferen (Kohl, Senf
u. s. w.), Ranunkeln, Wasserrosen; alle
gelb! Ferner die Doldengewächse und
Rosenblütler mit weißen oder rothen
Blüten. Doch auch violette, wie Malven
und Geranien, treten nun auf, und zu
meiner Verzweiflung der blaue Flachs,
der blaue Sturmhut, der blaue Rittersporn,
die blaue Akelei und das blaue Kreuz-
kraut. Die dritte Gruppe, die der Tertiär-
und der Quartär-Periode, die noch andauert:
Glockenblütler, die Lippenblütler und Zu-
sammengesetzte. Hier treten wirklich die
Blauen das erstemal in großer Reihe auf,
aber auch alle die anderen Farben. Gibt
es nun ein System in dieser Tollheit?
Ja, wenig und negativ, derart, dass Gelb
und Blau in der ersten Gruppe fehlen;
dass Blau in der zweiten Gruppe fehlt
(mit Ausnahmen), und dass reines Blau
erst in zermalmender Menge in der letzten
Gruppe auftritt; wie Veronika, Kornblume,
blaue Gentiane, Glockenblume, Cichorie,
Vergissmeinnicht, Münze, Lavendel, Ros-
marin, Vinca, Artischoke!

Wäre nur nicht der vermaledeite
Flachs und der ärgerliche Rittersporn, der
Sturmhut, die Akelei und das Kreuzkraut
dazwischen gekommen, so wäre es gut
gegangen mit meinem System, aber nun
fehlt es. Und es hilft nichts, dass ich
die überwältigende blaue Majorität der
dritten Classe zu Hilfe nehme. Ich würde
allerdings die blaue Farbe der Akelei,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 6, S. 122, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-06_n0122.html)