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sein. Der Faden kann nach dem Tode
wieder angeknüpft werden. Anderer-
seits ist für uns absolute Be-
wusstlosigkeit und absolutes
Nichtsein völlig gleichbedeutend.
Den berühmten Satz Berkeleys:
Esse est percipi (Sein ist Bewusst-
sein) halten auch wir für eine
selbstverständliche Wahrheit;
wir wehren uns nur gegen seinen
solipsistischen Missbrauch, d. h.
wir halten daran fest, dass unser
Ich-Bewusstsein nicht alles Be-
wusstsein ist, dass also unend-
liches Sein-Bewusstsein über unser
eigenes Ich hinausragen kann.
Auch stehen wir damit auf demselben
idealistischen Boden, von dem Schopen-
hauer ausgeht; denn ein rein »objectives«,
d. h. unbewusstes, unseelisches Sein gibt
es auch für ihn nicht (Kein Object ohne
Subject); die Außenwelt ist (unsere) Vor-
stellung und, davon abgesehen, als Für-
sichsein nichts als Wille, d. h. etwas
Psychisches. Ein relatives, nur nicht bis
zur vollen Selbsterkenntnis entwickeltes
Bewusstsein ist also auch dem »blinden«
Willen Schopenhauers nicht abzusprechen;
denn wenn auch »blind«, ist er doch
Wille zum Leben, und dieser Wille, also
auch die ihm immanente Vorstellung des
Lebens wohnt selbst in dem »Lieben und
Hassen« der chemischen Urstoffe, das
sich durch ihre »Wahlverwandtschaft«
äußert.
Aber nach Schopenhauers Ansicht ist
dieser Wille zum Leben ursprünglich
»dumm«, weil er eine Welt erzeugt, die
so reich an Übeln ist, und erst im
Gehirn des Denkers zündet er
sich ein höheres Licht der Er-
kenntnis an, das ihm nun gewisser-
maßen heimleuchten, d. h. zur Selbtsver-
neinung verhelfen soll. Hier jedoch ver-
räth Schopenhauer für jeden Nachdenk-
lichen den einseitigen Ausgangspunkt seines
Denkens durch einen Widerspruch,
der seinem abstracten Monismus, seiner
Lehre von der All-Einheit des Willens
unlösbar bleibt und der nur durch unseren
(relativen) Individualismus, der frei-
lich zugleich ein relativ metaphysischer
Pluralismus ist, umgangen werden
kann. Denn nach Schopenhauer ist »der
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ganze Wille zum Leben im Individuum,
wie er im Geschlechte ist, und ist daher
die Fortdauer der Gattung bloß das Bild
der Unzerstörbarkeit des Individuums«
(»Welt als Wille und Vorstellung«, IV, c, 41,
Frauenstädt II, S. 568). An anderer Stelle
heißt es von der Gesammtnatur, ähnlich
wie vielfach bei Giordano Bruno: »Jedes
(Einzelwesen) ist ganz in ihr und sie ist
ganz in Jedem. In jedem Thiere hat sie
ihren Mittelpunkt« (Ebenda, I, S. 331).
Wenn aber dem so ist, so fragen
wir, wie kommt es, dass die Welt
immer noch besteht, obwohl auch,
von Schopenhauer selbst abge-
sehen, der ihr zugrunde liegende
Wille zum Leben doch schon in
mehr als einem Individuum sich
dieses Licht der Erkenntnis ent-
zündet hat? Offenbar also ist eine solche
individuelle Erleuchtung einzelner Indivi-
duen bislang für den Weltwillen als
solchen fruchtlos gewesen. Diese Erwä-
gung aber hätte Schopenhauer zum meta-
physischen Individualisten in unserem
Sinne machen, d. h. ihn zur Anerkennung
unserer Behauptung bewegen müssen,
dass unser transcendentales Subject nicht
unmittelbar mit der metaphysischen Welt-
einheit zusammenfällt, dass »die Wurzel
der Individualität tiefer geht«, dass sie,
wenn sie auch nur eine Ausstrahlung eines
allgemeineren Willens zum Leben ist,
doch nicht erst mit der Geburt sich
individualisiert, sondern sich
bereits in einem weit vor dieser
zurückliegenden Stadium vom
Allgemeinen abgelöst hat.
Dass Schopenhauer, zumal in der letzten
Epoche seiner Philosophie, von diesem
unserem Schritte zu einem (relativen)
Individualismus nicht mehr fern gewesen
ist, beweist nicht nur seine »Epiphilosophie«
(Frauenstädt II, S. 737). Auch in seinen
»Bemerkungen zur Ethik«, § 117 (Parer-
gon II, S. 243, Frauenstädt) findet sich
folgender bemerkenswerter Satz: »Hieraus
(aus der Nothwendigkeit des empirischen
Charakters) folgt nun ferner, dass die
Individualität nicht allein auf
dem Principium individuationis
beruht und daher nicht durch und
durch bloße Erscheinung ist, son-
dern dass sie im Dinge an sich,
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