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gegen den Stamm das Buch des Myste-
riums, in dem die Wahrheit zu lesen
stand, die man kennen muss. Und der
Wind, in den Blättern des Baumes
flüsternd, buchstabierte den Tag lang
seine nothwendigen Hieroglyphen.
Adam horchte fromm. Einig, noch
ohne Geschlecht, blieb er sitzen im
Schatten des großen Baumes. Der
Mensch! Die Personwerdung Elohims,
Helfer der Gottheit! Für ihn, durch ihn
erscheinen die Formen. Unbeweglich,
und Mittelpunkt dieses ganzen Zaubers,
betrachtet er ihn, wie er sich entrollt.
Aber als immer gezwungener Zu-
schauer eines Schauspiels, in dem er
keine Rolle hat, als die, immer zuzu-
sehen, wird er müde. Alles spielt für
ihn, er weiß es — aber er selbst
aber er selber sieht sich nicht. Und
was ist ihm der ganze Rest? Ah! sich
sehnen! — Gewiss, er ist mächtig,
da er schafft und diese ganze Welt
von seinem Blick abhängt — aber
kennt er diese Macht, sie selbst, so-
lang sie unbestätigt bleibt? Wozu dient
sie ihm, diese Macht, solang er sie
sich nicht beweisen kann? — Wahrlich,
kraft des Anschauens unterscheidet er
sich nicht mehr gut von den Dingen.
Das ist unerträglich — nicht zu wissen,
bis wohin man geht! Denn das ist eine
Sclaverei schließlich, wenn man keine
einzige Bewegung wagt, ohne die Har-
monie zu verwirren. Und dann —
umso schlimmer! Diese Harmonie reizt
mich und ihr ewiger, vollendeter
Accord! Eine That, eine kleine That,
um zu wissen — eine Dissonanz, was
Teufel! — Ach was! ein wenig Unvor-
hergesehenes! Ah! packen! Einen Ast
von Ygdrasil packen mit seinen ver-
narrten Händen — und ihn zer-
brechen
Es geschah.
Ein unmerklicher Spalt zuerst,
ein Schrei, der aber keimt, sich aus-
breitet, zornig wird, gellend pfeift und
bald heult wie ein Sturm. Der Baum
Ygdrasil welkt, wankt und kracht;
seine Blätter, in denen die Lüfte spielten,
zittern, schrumpfen zusammen, lösen
sich im Sturm, der sich erhebt und
sie in die Weite trägt — ins Unbe-
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kannte eines nächtlichen Himmels und
zu gefährlichen Meeresstrichen, wohin
sich auch die Flucht der dem großen
geheiligten Buche entrissenen Blätter
zerstreut.
Zum Himmel steigt ein Dampf,
Thränen, Wolken, die in Thränen zurück-
fallen und die in Wolken wieder auf-
steigen werden: die Zeit ist geboren.
Und der entsetzte Mensch, der
Zweigeschlechtige, der sich theilt, hat
vor Herzensangst und vor Schrecken
geweint; fühlte mit einem neuen Ge-
schlecht, wie in ihm das unruhige Ver-
langen aufquoll für diese ihm fast gleiche
Hälfte, dieses mit einemmal erstandene
Weib da — das er umarmt und das
er zurücknehmen möchte — dieses
Weib, das, in dem blinden Eifer, ein voll-
kommenes Wesen wieder zu erschaffen
und da die Brut anzuhalten, in seinem
Busen das Unbekannte einer neuen
Rasse sich rege machen und ein anderes
Wesen in die Zeit stoßen wird, unvoll-
kommen auch und sich selber nicht
genügend.
Traurige Rasse, die du dich über
diese Erde der Dämmerung und der
Gebete zerstreuen wirst, manchmal, in
der Ekstase, mit der Vision des Paradieses,
das du verstoßen hast und das du über-
all suchen wirst — Rasse, aus der
Propheten geboren werden, um dich
zu trösten — und Dichter (denn ich
bin einer von ihnen), die sich Edens
erinnern und fromm die zerrissenen
Blätter des unvergesslichen Buches
sammeln werden, in dem die Wahr-
heiten zu lesen waren, die man kennen
muss.
II.
Wenn Narciss sich umdrehte, sähe
er, denke ich, einen grünen Uferhang,
einen Himmel vielleicht, den Baum,
die Blume, irgendetwas Beständiges
schließlich, das dauert, dessen Reflex
aber auf das Wasser fällt und sich
bricht, und den die Beweglichkeit der
Fluten vervielfältigt.
Wann wird denn dieses Wasser
endlich mit seiner Flucht aufhören?
Und wird sie, endlich ausgeruht, ein
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