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des Subjectes freies Feld gegeben, so dass
es, gleichsam vicarierend, subjective Be-
stimmungs-Elemente für die ausgefallenen
Empfindungswerte selbst erschaffen
muss. Hierin liegt der Schlüssel für das
Verständnis der künslerischen Arbeitsweise,
gleichzeitig aber auch eine Hauptquelle
vieler Missverständnisse; denn dafür, dass
die vom Künstler an Stelle der ausfallenden
Empfindungswerte gesetzten und dennoch
die Idee des Dinges charakterisierenden
Merkmale bestimmende sind, gibt es keine
absolute Gewähr, daher er nur von Jenem
ganz begriffen werden kann, der den oft
erwähnten Projectionsvorgang analog nach-
zu construieren vermag. Daher ist auch
das Verständnis eines Kunstwerkes eben-
sosehr an das Subject gebunden, wie seine
Hervorbringung, und nur der Umstand,
dass der Genius biologisch das Resultat
ist von Kreuzungen, in denen die speci-
fischen künstlerischen Fähigkeiten erst im
Laufe von Jahrtausenden accumulierten,
macht es erklärlich, dass der Künstler von
so Vielen verstanden wird.
Es stellt sich nach dem bisher Gesagten
— wenn von allen ethischen und meta-
physischen Voraussetzungen abgesehen
wird — ein jedes Kunstwerk also dar als
eine Folge zweier Projectionsprocesse (von
der Außenwelt in das Bewusstsein und
vom Bewusstsein in die Außenwelt zurück),
bei welchem Vorgange die Erscheinung ein
wesentliches Empfindungsdatum verliert.
Man kann also füglich von einer
Wiederholung der Erscheinungen sprechen,
und zwar auf höherer Stufe, wenn man
berücksichtigt, dass die zweite Projection
durch ein erkennendes Medium hindurch
gegangen ist. Insoferne die Kunst die beiden
höheren Sinnesgebiete, durch welche wir
zunächst mit der Außenwelt in Beziehung
stehen, zur Lösung dieser Aufgaben heran-
zieht, entsteht so eine leuchtende und
tönende Welt höherer Ordnung.
Um das Wesen der ästhetischen Pro-
duction vom Standpunkte unserer Pro-
jections-Anschauung näher zu untersuchen,
muss nun ein weiterer Process Erwähnung
finden, dessen Bedeutung von den meisten
Ästhetikern sehr überschätzt wird. Es ist
dies der Antheil, welcher der Betonung
der Lustwerte zukommt. Während wir
nämlich, insoferne wir uns zur Aufnahme
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der Außenwelt bloß receptiv verhalten, un-
fähig sind, die begleitenden Lustwerte nach
Belieben zu verändern, ist es bei der pro-
jectiven Thätigkeit möglich, die Lustwerte
derart zu combinieren und zu gruppieren,
dass der Total-Lustwert des Darzustellenden
unter allen möglichen Darstellungsweisen
ein Maximum erreicht. Um dieses nur ein
wenig zu erläutern, sei auf die am meisten
lustbetonten Verhältnisse der geometrischen
Grundformen (1 : 2, goldener Schnitt, etc.)
der musikalischen Schwingungszahlen, der
Farbenmannigfaltigkeiten verwiesen. Eine
und dieselbe Idee kann auf viele ver-
schiedene Arten dargestellt werden, und
eine von diesen wird die größte Lust-
empfindung bei ihrer Apperception hervor-
rufen. Man hat sich das »Schöne« immer
gedacht als das mit maximaler Lust-
empfindung Erkennbare. Doch lässt sich
nicht immer die Idee so darstellen, dass
auch bei günstigster Wahl aller Em-
pfindungsmomente ein lustbetonter Ein-
druck die Apperception begleitet. In Wahr-
heit oscilliert der gestaltende Trieb zwischen
den sich ihm darbietenden Darstellungs-
möglichkeiten solange, bis ein Mittelwert
erreicht ist, der nach beiden Richtungen
hin — Annäherung an das Erinnerungs-
bild und Accumulierung der Lustwerte —
gleich befriedigt. Dieses Ringen um die
Deutlichkeit ist es, was uns den künstleri-
schen Process so anziehend macht. Vor-
bedingung für das Auftreten dieser Potenz
ist aber immer das Unterdrücken von
charakterisierenden Empfindungsthatsachen,
so dass sich die transcendentale Bedeutung
der Projectivität hieraus abnehmen lässt.
Im Zusammenhange mit der Auslese
der charakterisierenden Bestimmungen aus
dem Gesichtspunkte des Lustwertes steht
der erhöhte Wert, den der ästhetisch
durchbildete Sinn nunmehr der Außen-
welt verleiht. Indem die großen Kunst-
werte Gemeingut der denkenden Mensch-
heit werden, associiert sich der elementaren
Apperception die vom Kunstwerk herüber-
genommene Art der Betrachtung, so dass
im Sinne unserer Terminologie eine Pro-
jection von Lustwerten auf die indifferente
Außenwelt erfolgt, wodurch das Kunstwerk
und das Projections-Phänomen seine tele-
ologische Deutung erfährt.
(Schluss folgt.)
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