Text
Von A. GUREWITSCH (Baugy sur Clarens).*
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Es gibt eine naive und eine künst- Die Erreichung der vollkommenen |
und Wehrlosigkeit, sie bedeutet auch den daher gegenseitig naive und künstlerische Sensibilität im Laufe des Lebens. Die Bewegung von der ersten zur zweiten ist Fortschritt und Läuterung, die umgekehrte Bewegung ist Rückschritt und Verfall. Aber Bedingung des Lebens ist auf jeden Fall, dass die eine der anderen die Wage halte; das Gleichgewicht darf und muss verschoben, es darf nicht aufgehoben werden. Und seine Aufhebung ist doch so unvermeidlich, wie der Tod, so urbe- gründet, wie die Ewigkeit des Lebens. Die Welt ist eben kein gerader Weg, kein übersichtliches Gebäude, kein klares Ziel und keine eiserne Nothwendigkeit; sie ist ein unentwirrbarer Knäuel, ein flaches Gewölbe, ein quadratischer Kreis, ein ewig sich selbst unklares Wollen, eine tanzende, schwankende, fallende Nothwendigkeit. Sie ist das ewige Sichfliehen und das ewige Sichfinden von Anschauung, Gedanke, Gefühl, Wille, Wirklichkeit, Individuum, Universum, Identität, Gegensatz, Wahrheit, Irrthum, Causalität, Relativität, Rangord- nung, Mysterium, Parallelismus, Wechsel- wirkung, Beharrung, Veränderung, Conti- nuität und Entwicklung. |
* Vom selben Verfasser erscheint demnächst »Der gegenwärtige Zustand der Sociologie«.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 7, S. 151, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-07_n0151.html)