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Dass wir unsere Hand den Umrissen
eines Gegenstandes anpassen, ruft in unse-
rem Vorstellungsvermögen ein schärferes
Bild der Gestaltung dieses Gegenstandes
hervor, als die bloße Anschauung es ver-
mag. Bekannt ist, dass bei Blinden das
Tastgefühl zum Erkennen der Dinge führt,
und, was Veranschaulichung der Form
betrifft, das fehlende Auge vollständig
ersetzt.
Andererseits geht in unserem Be-
wusstsein zugleich mit der Anschauung
eines Dinges ein beginnender Anpassungs-
Process unserer Greiforgane vor sich, der
uns das Nachzeichnen derselben er-
möglicht, umso getreuer und treffender, je
lebendiger diese Vorstellung in unserem
Bewusstsein auftritt. Hier liegt ein Fall
wirklicher Identification mit dem Gegen-
stande vor, den wir vermittelst ent-
sprechender Muskelbewegungen abge-
zeichnet haben; im Grunde genommen,
ist diese Identification eine einfache Er-
scheinungsform der Nachahmung und der
nervösen Sympathie.
Dies die Erläuterung einer Thatsache,
die die Ahnung im Menschengeiste lange
vorher erfasste, ehe noch die physiologischen
Wissenschaften Licht gebracht hatten in die
nervösen Reactionen, die sich untereinander
bedingen. Ihre Verstärkung durch den
Hypnotismus ist derart beträchtlich, dass
seine Wirkung sich mit der einer
mächtigen seelischen Lupe vergleichen
lässt.
So erklärt man sich, wie ein Schrift-
steller aus dem Beginn dieses Jahrhunderts,
der in Selbstbespiegelung und Selbstbe-
obachtung machte, folgende Zeilen hat
schreiben können, die eine ganze Methode
in sich schließen:
»Wenn ich wissen will, bis zu welchem
Grade jemand umsichtig oder dumm ist,
wenn ich das mögliche Maß seiner Güte
oder Bosheit ermessen, seinen augenblick-
lichen Gedanken auf den Grund gehen
will, dann lege ich mein Gesicht, so genau
als möglich, in dieselben Falten — und
warte in vollster Gemüthsruhe ab, welche
Gedanken und Empfindungen in meinem
Geiste und Herzen emporkeimen, als eine
meiner Physiognomie entsprechende An-
passung. Probatum est.«
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Obiges enthält eine sehr genaue Be-
schreibung des Verlaufes gewisser Sym-
pathie- oder Inductions-Erscheinungen von
psychomotorischer Art, die alle Beziehungen
zwischen den Erregungen und Gefühlen,
sammt dem hier thätigen Mechanismus,
bedingen.
Gemüthsbewegungen und Empfin-
dungen wirken ansteckend, und wenn der
Blick ein geeignetes Werkzeug der
Identification ergibt, liegt die Ursache
darin, dass bloßes Anschauen einer Be-
wegung einen Anreiz zur Wiederholung
derselben schafft, wie aus dem oben An-
geführten zur Genüge erhellt.
Jede Kundgebung der allgemeinen
Mimik, insbesondere aber das Mienenspiel,
wird bewusst oder unbewusst mittelst des-
selben Vorganges wiederholt.
Dies sind nicht etwa bloße theoretische
Speculationen; die Arbeiten von Richet,
Charcot, Braid, Fèré u. s. w. haben auf
experimentellem Wege den praktischen
Thatbestand erwiesen. Auch nicht mehr
der Schatten eines Zweifels waltet ob in
Betreff der Suggestion einer Idee, einer
Gefühlserregung, ja selbst einer That ver-
mittelst der entsprechenden Geberde oder
lebhaften Mienenspiels.
Im Alltagsleben treten diese Erschei-
nungen zwar wahrnehmbar, doch ohne
sonderliche Intensität auf.
Mehr oder minder liest man einem
Menschen doch die Gedanken von der
Stirn, — eine Thatsache, die nicht beein-
trächtigt wird durch die sich bisweilen
abspielenden lächerlichen Missverständnisse
oder Verwechslungen. Instinctiv macht sich
der Bettler diese Erfahrung zunutz; so
manchesmal erkennt sein geübter Blick
die Gesinnung der Menschen, ehe er sie
um ein Almosen angeht, und er hütet sich
wohl, jedermann wahllos auf dieselbe Art
anzusprechen.
Mehr noch, die ausdrucksvolle Sprache
des Geberdenspiels stellt eine Verbindung
zwischen Mensch und Thier her.
Wenn jemand die Physiognomie eines
anderen einer gespannten, aufmerksamen
Beobachtung unterzieht, trachtet er, ihm
selbst unbewusst, danach, seinen Gesichts-
ausdruck dem Vorbilde anzubequemen, sich
selbst gleichsam in eine andere Tonart umzu-
setzen: das Ergebnis hievon ist eine Identifi-
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