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unterlag und auf Bestellung arbeitete,
als er einmal »verlangt« wurde. Viel-
leicht zwang ihn auch das Elend dazu.
Ich weiß es nicht. Das geht mich hier
auch nichts an. Aber ich fand es an
der Zeit, mit der bei uns gepflegten
Vallotton-Manie aufzuräumen. Jeder
»Kunstkritiken« schreibende Oberlehrer
oder Commis, der in seinem Leben
zehn Vallottons gesehen hat, konnte
es sich bis heute nicht versagen, den
Einfluss des Franzosen auf Werke
junger Deutscher festzustellen, selbstver-
ständlich unter Hinweis darauf, dass
»das Vorbild« durchaus nicht erreicht
sei. So geht es mir und einigen Anderen
seit Jahr und Tag. Es war nöthig, dies
zu sagen. Eines Tages wird man es
auch einsehen.
Die synthetischesten aller neuen Holz-
schnitte hat Edvard Munch gemacht.
Er erfüllt die essentiellen Bedingungen
des Holzschnittes am vollkommensten.
Aber wie alles Vollkommene durch
die völlige Trennung der Kundmachen-
den und der Empfangenden ein einsames
Leben lebt, manchmal Versuche macht,
auf den großen Jahrmärkten mitzu-
thun (aus Noth, gezwungen!), um sich
bald voll Ekel zurückzuziehen; wie es
höchstens Beute der Amateure wird,
so geschah es auch dem Werke Ed-
vard Munchs. Bei ihm treten noch
innere Gründe hinzu, die seine Werke
niemals über eine kleine Gemeinde hin-
ausdringen lassen werden.
Munch hat einige seiner Ideen
gemalt und, variiert oder nicht, in einer
der graphischen Techniken wiederholt.
Er ist der Maler, der dem geistigen
Wesen der Malerei am nächsten steht.
Seine Kunst geht von der Idee aus,
vom Erlebnis, wie alle große Kunst.
Dieses Erlebnis drückt er aus und
gestaltet es — wie der Musiker in
Tönen — in den Elementen seiner
Kunst, in Farben und Linien. Die Ver-
wendung der Formen der Erscheinungs-
welt geschieht nur bis zu dem Grade,
der nöthig ist, die Idee auszudrücken,
das heißt: diese Formen, Farben, Linien
sind rein symbolisch. Daraus entspringt
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die synthetische Vereinfachung der Er-
scheinung, ihre Deformierung nach dem
Willen des inneren Bildes — und ihre
Allgemeingiltigkeit. Dies alles kommt
in seinen graphischen Arbeiten, beson-
ders in seinen Holzschnitten, in der-
selben Stärke wie in seinen Gemälden
zum Ausdruck. Manchmal noch stärker.
Diese Verstärkung ist das Resultat
des Zwanges, den das Material ausübt.
Ein wundervoller Zwang! — Die Mittel
des Holzschnittes: die schwarze Fläche
mit weißen Linien, die weiße Fläche
mit schwarzen Linien, sind erschöpfende
für den synthetischen Künstler.
Sie zwingen zur äußersten inner-
lichsten Einfachheit in der Darstellung
und sind fähig, alles zu sagen. Ich
denke an sein Blatt: »Einsamkeit«. —
Der zwischen Felsen am Meer hockende
Mensch, dessen in die Hand gestützter
weißer Kopf in der großen, schwarzen,
unergründlichen Welt schwimmt. Die
Ferne, ein paar weiße Flecke, etwas
wie eine Landungsbrücke, ein Haus.
Darüber zwei, drei langgestreckte, weiße
Wellenlinien. Ich sage ausdrücklich
Linien. Denn diese Linien geben den
ganzen Himmel, seine Größe und
Schwermuth. Es ist keine Luft, es sind
keine Wolken, es sind Linien. Sie
geben die Idee des Himmels. Zwei
Linien, wie das sichtbar gewordene
Schweben der Seele dieses Einsamen
im Dunkel.
Oder die »Angoisse«, eines der
erstaunlichsten Werke synthetischer
Kunst. Die Gesichter der Menschen,
die keine Gesichter mehr sind, sondern
nur Zeichen, Zeichen für die aus-
zudrückende Idee, das Erlebnis, das sie
ihm so zeigte, in dieser furchtbaren
Entstellung. Wieder über den Menschen
zwei brutale, schwarze und weiße Quer-
balken, in breiter Wellenlinie, nicht
dünn und unermesslich fern und lang,
wie die über dem Einsamen, sondern
breit, roh, erdrückend, wie eine fürchter-
liche Last, nah über den Köpfen, bereit,
herabzustürzen und alles zu zerdrücken.
Munch hat diesen Holzschnitt auch
coloriert, die Gesichter fahl, gelb und
grün angestrichen, die weißen Balken
darüber grün und roth, zu dem tragi-
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