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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 8, S. 173

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WEISS: ÜBER DEN MODERNEN HOLZSCHNITT.

Laage ist ein Realist im Sinne wie
es van Gogh war. Er liebt die Erschei-
nung und ihre Schönheit, ihre körper-
liche Schönheit, alle Dinge dieser
Welt, Menschen und Landschaften und
Blumen. Aber immer spricht diese kraft-
volle, liebevolle, still-innige Erscheinung
von dem Herzen, durch das sie gieng.
Er ist synthetisch und symbolisch. Er
hat rein symbolische Blätter gemacht,
in denen das innere Bild von den
Dingen nur nahm, was es brauchte,
um sichtbar zu werden. Er hat Ver-
körperungen von Landschaften gemacht,
die niemand so sehen wird, die aber
das Wesen, das »zweite Gesicht« einer
Landschaft geben. Fast alle seine Land-
schaften sind so. So auch seine Blumen
und Pflanzen, voll animalischen Lebens,
ihm vertrauter, als Menschen, stille,
geheime Freunde, Bewohner, möchte
ich sagen, einer besonderen Welt, in
die er zu ihnen kommt. Er besitzt, wie
ich sagte, alle Eigenschaften Pisarros.
Dazu eine tiefer bohrende Kraft. Man
kann bei einigen seiner Blätter an van
Gogh denken. Ein Hauch der Raserei
dieses Genies, der alle Dinge in der
furchtbaren Glut seines Innern glühend
machte, weht in Saages Kunst. Aber
nur ein Hauch, denn seine mensch-
liche Veranlagung ist eine andere. Er
weiß zu schweigen. Er ist Nordländer.
Bei van Gogh, der in der Glut der
südlichen Mittage und im blendenden
Mistral seine Conceptionen des
Geschauten
auf die Leinwand gießt,
ist alles Schrei der Leidenschaft und
des Leidens. Laage ist Nordländer. Das
Schweigen der Haide und des Meeres,
der ungeheure Ernst der großen Flächen
tönt aus ihm wieder. Dieser Mensch
hat sich in der Misere des täglichen
Lebens unter den Menschen eine Ruhe
bewahrt, die ihn zu allen Dingen hin-
führt und die zu ihm sprechen, weil
sie ihre Seele in ihm vorhanden fühlen,
die mit ihm reden, weil er schweigt.
Dann kommen sie zu ihm in sein
Schweigen.

Bei einigen neueren Arbeiten von
ihm will es mir scheinen, als ob ihn
die allmählich erworbene Herrnhast über
die Mittel zu einer »Ausführung« im

schlimmen Sinne verführe und ihn von
der einfachen Synthese seines inneren
Bildes abbringe zu Gunsten der Dar-
stellung des kahlen Objects, wenn auch
eines Objects, das durchaus zeigt, dass
es durch sein Erlebnis hindurchgieng.
In einigen neuen Entwürfen dagegen
ist die Synthese wieder in so reinster
Form da, sind sie so innerlich und in der
Form so wundervoll holzschnittmäßig,
dass man wünscht, jeder Fleck, jeder
Strich möchte seine Gestalt im Holz-
stock bis ins Kleinste behalten, wie er
sie hat.

Von ihm stammt auch jene treffende
Charakterisierung des Holzschnittes im
Verhältnis zu anderen graphischen Tech-
niken, den er als »ein wundervolles
Weib« bezeichnete, gegen das die Litho-
graphie eine »Straßendirne« ist und
die Radierung »eine geistvolle Dame«!

Der Holzschnitt ist »ein wunder-
volles Weib«. Herb und im Geheimen
hegend, was in einer Seele sein kann
und den Meisten fremd ist. Viele be-
werben sich um ihre Gunst. Wenige
hören ihre Antwort.

Das Aufkommen und die Pflege
des Holzschnittes in neuerer Zeit ist
eines der Symptome, das zu Hoffnungen
auf eine neue synthetische und sym-
bolische Kunst berechtigt und ein
edles Kampfmittel gegen den Massen-
schwindel, der heute unter dem Namen
»Kunst« seine Versuche des trompe-
l’oeil hunderttausendfach dem bewun-
dernden Bourgeois vorsetzt.

Die Kunst, die dem Einen ein Luxus,
dem Andern eine Schaustellung und
den Meisten fremd ist und fern wie der
Himmel, hat begonnen, nach Kräften
die Wiederherstellung des Zusammen-
hanges mit dem täglichen Leben zu
fördern, damit sie nicht wie ein Mensch
unter Affen sei, sondern wie eine
Göttin unter Menschen. Damit das
Kunstwerk nicht einsamer sei, als ein
Stern am Nachthimmel, keinen Platz
findend in der Welt, der ihm angemessen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 8, S. 173, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-08_n0173.html)