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Die Moralités Légendaires — ich
kenne kein Buch von so verschwiegenem
Lachen, von einem Lachen, das so
einfach da ist wie die Luft, wie die
Augenblicke, wie Töne, wie die vielen
Wünsche, die das Leben hin- und her-
weht wie der Wind den Samen der
Blumen, man weiß nicht, wohin sie fallen
und ob sie aufgehen werden. Ein Lachen,
bald kurz, als fürchtete es, in Thränen
zu fallen, bald vorsichtig, gleichsam als
langer Umweg, um den Schmerz, ein
Um-die-Ecke-Verschwinden vor dem
Schmerz, jedenfalls ein Lachen, das
man nicht gleich bemerkt, wie alles,
was immer nur da ist. Den meisten
Menschen ist das Lachen ein grobes
Demaskieren, hier ist es ein langsames
Erkennen der Masken, ein Blicken durch
Masken von innen heraus, ein Erkennen
des Daseins überhaupt und ein Spielen
damit, ein Lachen, das die Dinge
scheinen lässt. Oft ist es Einem, als
erblicke man das Geäder eines Blattes
oder die bunten Linien einer Blüte
oder die Züge eines sehr bekannten
Gesichtes wie zum erstenmale, man
sieht lange hin und weiß nicht, dass
man dabei lächelt. Gewissen Menschen
wenigstens geht es so, denselben, die
immer traurig aussehen, wenn sie, nichts
Fremdes anblickend, wie in sich selbst
hineinsehen. Das ist nun auch das Lachen
der Moralités Légendaires, ein sehr tiefes
und seltenes Lachen, das Lachen sehr
geistiger Menschen. Man lacht und weiß
nicht warum, ja vielleicht gerade des-
halb, weil man nicht weiß warum, über
seine eigene Grundlosigkeit, oder weil
man immer mit Absicht seine eigene
Zwecklosigkeit verbergen will oder seine
Absichten für seine Gründe nimmt,
oder weil man so oft wünscht, wunsch-
los zu sein oder tief ist, um sich zu
verbergen, oder weil wir uns so oft
verlieren, nur damit ein Anderer uns
besitzt. Ja, das ist das Lachen in den
Moralités Légendaires, ein Lachen ganz
ohne Pointe, nicht über den Schein der
Dinge, sondern als ihr Schein und ihre
Maske und darum offenbar wie die Luft
und die Farben und alles Erkennen.
Ein Lachen also nicht über den
Schein der Dinge, sondern als ihr Schein,
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das heißt: Gewöhnlich lacht der Mensch
in uns über den Dichter in uns, nun hier
lacht der Dichter, ich will nicht sagen
über den Menschen, aber über das,
was der Mensch mit dem Dichter immer
will, über die Zwecke der Dichtung,
ihre Vernunft und alle letzten Acte,
über ihren Appell, wenn ich so sagen
darf, über sich selbst vielleicht, jeden-
falls aber über die Legende und die
Moral. Es ist ein Lachen ganz nahe den
Thränen, wie durch Blicke der Augen
von ihnen geschieden, ein Lachen als
Bild der Grundlosigkeit.
Ein Lachen über die Absichten des
Dichters, über sein Versteckspielen mit
der Legende und dem Helden, ein
Lachen als Moral der Masken und
Legenden. Man kann sagen, der Dichter
hat eine Legende, wie eine Frau eine
Vergangenheit. Wir begreifen sein Leben
besser als Legende, und die Vergangen-
heit einer Frau ist gewöhnlich nur unsere
Poesie, etwas, das wir ihr immer erst
schaffen, um sie zu begreifen oder
in gewissem Sinne, um uns selbst
nicht zu begreifen. Wir wollen die
Legende und den Helden, wie wir
die Moral wollen, als Schutzvorrich-
tung, und auch der Dichter will sie, um
sich zu verstehen und zu verbergen, als
Vermittlung; er ist immer die Legende
seines Helden und der Held seiner
Legende. Er ist ja niemals etwas an
und für sich, zeitlich bestimmt. Er ist
ein ganz augenblickliches Geschöpf, er
existiert nur in Augenblicken. Der Augen-
blick ist seine Wirklichkeit, und was
vor diesem liegt, ist Legende, das heißt,
schon gesagt, schon ausgesprochen, Er-
innerung, und die Zukunft ist ein Held,
ein letzter Act, eine ewige Moral, eine
ideelle Moral, ein Ideal, überhaupt ein
Ewiges. Ja, seine Gegenwart ist ein
so Augenblickliches, dass er sie als ein
Abiließen empfindet und er sie nie
besitzt, und wenn er sie greifen will,
muss er durch seine Vergangenheit und
seinen Traum, die Legende und den
Helden hindurchblicken wie durch
Masken. Und dieses Hindurchblicken
durch Masken ist das Lachen Jules
Laforgues, ein Erkennen der Moral
und der Legende.
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