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Noch einmal, ganz abseits von jeder
angewandten Ethik, was ist dem
Dichter, dem Augenblicklichen, die
Legende und der Held? Nichts anderes
als ein ausgesprochenes Etwas, das
sich schon ausgesprochen, erklärt hat!
Jules Laforgue und alle Künstler-
menschen theilen die Dinge ein in
solche, die schon ausgesprochen sind,
und in solche, die jeder Augenblick
zum Aussprechen auffordert! Alles
Ausgesprochene ist Held und alles
andere der Dichter. Alles Ausge-
sprochene, am Ende Angelangte, jeder
letzte Act ist ein Ideal und alles andere
der Dichter. Alles Ausgesprochene ist
ein Spiegel und alles, das sich im
Ausgesprochenen spiegelt, Dichter, und
Jules Laforgue spiegelt sich in den
Legenden und lacht, wie ein anderer
sich im Schicksal spiegelt und zum
Bilde erstarrt! Die Moralités Légen-
daires bestehen aus sechs Erzählungen:
Hamlet; Le miracle des roses; Lohen-
grin, Fils de Parsifal; Salomé; Pan et
Syrinx, Persée et Andromède. Die
tiefste ist Hamlet. Deutlicher müsste
es heißen: Le sourire et le miroir
d’Hamlet. Die »Moral« von Shakes-
peares Hamlet ist ja bekannt: Ein
Mensch, der vor vielen Gedanken nicht
oder doch erst nach vier Acten zu
einem letzten Act und Helden kommt.
Hier will wirklich der Dichter den
Helden, der Held ist gerade hier nur
das Selbstbekenntnis des Dichters, und
Hamlet hat schon sehr tiefe Gedanken
über die Moral der Legende. Nun,
Jules Laforgues Hamlet ist das, was
Shakespeares Hamlet um des Helden
und der Legende willen, dem Aus-
gesprochenen zuliebe, verschweigt, näm-
lich Dichter; auch sein Schicksal will
von ihm die That, und Hamlet schreibt
das Drama, welches den Mörder seines
Vaters überführen soll, aber während
des Dichtens vergisst er die Veran-
lassung — der Dichter nimmt ja allen
Dingen ihre Gründe — und am
Schlusse, da er bei der Aufführung
sieht, dass sein Drama wirkt, ist es
ihm schon ganz gleichgiltig: »C’est un
beau Sujet«, ruft er aus. »Je refis la
chose en vers ïambiques: j’intercalai
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des horsd’oeuvres profanes, je cueillis
une sublime épigraphe dans mon cher
Philoktète. Oui je fouillais mes per-
sonnages plus profond que nature même.
Je forais les documents. Je plaidais
du même génie pour le bon héros et
le vilain traître. Et le soir, quand
j’avais rivé sa dernière rime à quelque
tirade, je m’endormais la conscience
toute rosière, souriant à des chimères
domestiques, comme un bon littérateur
qui, du travail de sa plume, sait
soutenir une nombreuse famille. Je
m’endormais sans songer à faire mes
dévotions aux deux statuettes de cire,
et leur retourner leur aiguille dans le
coeur. Ah, cabotin, va!« Dieser Hamlet
ist ein sehr, sehr später Enkel des
alten dänischen Prinzen. Er lebt in
Paris und spricht vom bewussten
Leben und nimmt Pillen. Er ist ein
sehr guter Bekenner des geistigen
Egoismus, viel besser als ein Ideologe
des Barrés und Mallarmés platonischer
Faun und von etwas mehr Aufrichtig-
keit, Farbe, Psychologie und, sagen
wir, Galgenhumor als der weise
»Meister der Geschicke« Maeterlincks.
Und wenn der alte Dänenprinz einfach
die That will, so ruft der späte Ästhet
schon nach dem Helden: Un héros!
Aber — und das ist diabolisch tief —
que tout le reste fût des levers de
rideau! Dieser Hamlet hat alle Lebens-
möglichkeiten erschöpft, ihm ist alles
ausgesprochen und außer ihm ist alles
nur Spiel und nur Ewigkeit, und er
selbst — ah, cabotin, va! Man sieht, es
ist keine Parodie des alten Hamlet
und kein Lachen über ihn, sondern
das Lachen Hamlets und sein Schweigen.
Es lacht dort, wo Hamlet ausge-
sprochen ist, und lacht sein Schweigen.
Es ist das Lachen alter, ausgegrabener
Dinge. Wenn man heute aus dem
Schutte eines Klosters die Statue eines
Mönches ausgräbt oder eines Heiligen
und Asketen, so haben dessen Züge
ein geheimnisvolles Lächeln, vor vier-
hundert Jahren deuteten sie vielleicht
seinen Schmerz und die Furchen der
Thränen an, heute lachen sie. Etwas
von diesem Lachen alter, ausgegrabener
Dinge hat auch Jules Laforgues Hamlet,
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