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das ungenannte Genie eines Dichters
den anderen Menschen mit feierlichem
Ernste vorführte; gewissermaßen eine
Messe, denn die Menge versammelte
sich ja, um aus dem Munde eines der
Ihrigen reine Ideen zu vernehmen.
Alles, was die die Zuhörerschaft bilden-
den Individuen persönlich nicht sein
konnten, reich, schön, inspiriert, alles
das verkörperte der ihnen vorgeführte
Held, und sie erkannten in ihm alle
edlen Eigenschaften der Menschheit,
zu der sie gehörten, bevor sie auf der
Straße wieder zu einförmig gekleideten
Passanten wurden. Der dramatische
Held war der echte Prinz der egalitären
Modernität, der von einem Hemicikel
verschwommener, stummer und schwar-
zer Wesen vervollständigt wurde. Was
die Concerte betraf, deren junge Ent-
wicklung er unter den demokratischen
Sitten als ein für seine Hypothese
äußerst günstiges Zeichen ansah, so
machte er aus dem Kapellmeister eine
ähnliche Figur wie aus dem Schau-
spieler.
Nach Mallarmés Ansicht kam das
Publicum bei jedem Sonntagsconcert
herein, setzte sich, schwieg und ließ,
nachdem es sich die ganze Woche bei
der täglichen Arbeit im Zaume ge-
halten, seinen Träumen, seiner Liebe zur
Schönheit und zum Glauben, seiner
Begeisterung freien Lauf; die Melodie
des Orchesters aber verlieh allen diesen
individuellen Träumen der Anwesenden
Gestalt; diese erkannten sie und blieben
sozusagen in ihrer Ekstase und Be-
geisterung gar nicht mehr sie selbst.
»Cette multitude satisfaite par le jeu
de l’existence quotidienne, comment
se fait-il, cela repose-t-il sur un instinct
que, franchissant les intervalles litté-
raires, elle ait besoin tout à coup de
se trouver face à face avec l’indicible
ou le pur, la poésie sans les mots!«
Er schloss aus diesem Magnetismus
des Theaters und des Orchesters, dass
das Publicum vollauf imstande war,
eine symbolische Fusion der Künste
zu verstehen und — dank dem spe-
ciellen Costüm und den Attributen —
den religiösen Charakter dieser Ver-
einigungen in sich aufzunehmen, denn
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es hegte dafür denselben unklaren
Instinct der Hochachtung, wie für die
liturgischen Symbole, und die Person
des Priesters.
Das Buch enthielt in Mallarmés
Augen in Form eines kleinen Bandes
alle diese Bedingungen, für einen ein-
zigen Leser bestimmt. Die scenischen
Elemente waren darin im Keime ent-
halten, bis auf das Ballet, das durch
die Metaphern ersetzt wurde. Das Buch
war das geistige Instrument und ge-
wissermaßen der Thätigkeitsmodus
ersten Ranges, denn sagte Mallarmé
oft: »il n’ya pas d’acte supérieur à la
pensée qui l’inspire, et penser est
essentiel«. In demselben Gefühl formu-
lierte er den Ausspruch, der sehr schlecht
verstanden wurde und den man mit
Unrecht für den Ausdruck eines Man-
darinen-Dilettantismus hielt: »Le monde
est fait pour aboutir à un beau livre«.
In diesem Sinne erklärte der Poet
ferner, dass die Bedeutung der Ana-
logien die Quelle jeder Intellectualität
sei und dass wir von den Gegen-
ständen nur ihre Beziehungen unter
sich, wie ihre Beziehungen zur Ge-
sammtheit des ideologischen Univer-
sums ausdrücken dürfen. In diesem
Sinne antwortete er schließlich, als
man ihn nach dem Anarchismus und
der Propaganda durch durch die That
befragte: »Je ne sais qu’une bombe,
c’est le livre.« Er stellte das Buch so
hoch, dass er es sogar zum Symbol
des menschlichen Genies machte und
über unsere modernen Bücher in Ver-
zweiflung gerieth, die seiner Ansicht
nach von dem Einfluss der Zeitungen
ruiniert wurden: »L’influence du Jour-
nal«, schrieb er, »est fâcheuse, im-
posant à l’organisme complexe requis
par la littérature au bouquin, une
monotonie — toujours l’insupportable
colonne qu’on s’y contente de distribuer,
en demisions de pages cent et cent
fois. Mais, entends-je, peut-il cesser
d’en être ainsi? Je vais, dans une
échappée (car l’oeuvre sera un exemple
préférable) satisfaire la curiosité. Pour-
quoi un jet de grandeur, de pensée ou
d’émoi, considérable, phrase poursuivie
en gros caractères, une ligne par page
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