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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 9, S. 192

Text

MALLARMÉ: AUF DEM JAHRMARKT.

rasch etwas geschwatzt und auseinander-
gesetzt und den Zuschauern mit den
zweifelnden Mienen ihre Sicherheit
wiedergegeben (die, wenn sie den Sinn
nicht gleich erfassen, willig eine, wenn
auch kitzliche, in Worte gekleidete
Auslegung annehmen und darauf ein-
gehen, ihr Eintrittsgeld gegen bestimmte
und überlegene Erläuterungen einzu-
tauschen), kurz, Jedem die Überzeugung
beigebracht, dass er nicht geprellt
werde!

Ein letzter Blick auf das leuchtende
Haar, auf dem ein Crêpe-Hut lodert
und dann in üppigem Blumenschmuck
verblasst, hortensienfarbig wie das
stattliche Kleid, das sich über einem
vorgeschobenen Schuh von gleicher
Farbe emporrafft.

Dann:

La chevelure vol d’une flamme à
l’extrême
Occident de désirs pour la tout déployer
Se pose (je dirais mourir un diadème),
Vers le front couronné son ancien foyer.

Mais sans or soupirer que cette vive nue
L’ignition du feu toujours intérieur
Originellement la seule continue
Dans le joyau de l’oeil véridique ou
rieur.

Une nudité de héros tendre diffame
Celle qui ne mouvant astre ni feux au
doigt
Rien qu’ à simplifier avec gloire la
femme
Accomplit par son chef fulgurante
l’exploit

De semer de rubis le doute qu’ elle
écorche
Ainsi qu’ une joyeuse et tutélaire torche.

Da meine Helferin in der Gestalt
der lebendigen Allegorie ihren Posten
bereits verließ, vielleicht weil es mir
an fernerer Beredsamkeit gebrach, und
um deren Schwung zu dämpfen, an-
muthig herabstieg, so fuhr ich, nun auf
gleicher Stufe mit meinen Zuhörern
stehend, und um ihre Verblüffung über
den plötzlichen Abbruch der Vorstellung

durch ein Zurückfallen in den geschäfts-
mäßigen Ton abzuschneiden, folgender-
maßen fort: »Ich mache Sie darauf
aufmerksam, meine Herren und Damen,
dass die Dame, welche die Ehre hatte,
sich Ihnen zu zeigen, keines Costüms,
noch sonst eines Hilfsmittels der Bühne
bedarf, um Sie von ihrem Liebreiz zu
überzeugen. Dies natürliche Auftreten
begnügt sich mit dem Einklang, in
dem die weibliche Toilette stets mit
einem der ursprünglichen Züge der
Frau steht, und das ist auch hin-
reichend, wie Ihre freundliche Zustim-
mung mir bestätigt«.

Ein Verstummen aller Beifallsbezei-
gungen, mit Ausnahme einiger ver-
worrener »Ja wohl« oder »Gewiss«
aus mehreren Kehlen, sowie von Klatsch-
versuchen einiger großmüthiger Hände,
begleitete die Menge bis zum Ausgang,
wo sie sich ins Dunkel und unter die
Bäume ergoss, und wir schlossen uns
ihr an. Nur ein kindlicher Soldat war
noch erwartungsvoll zurückgeblieben
und träumte davon, mit seinen weißen
Handschuhen die stolzen Glieder an-
zutasten.

»Vielen Dank«, sagte gütigst die
Theuere, nachdem sie einen frischen
Lufthauch, den ihr die Sterne oder die
Blätter der Bäume zugesandt, einge-
sogen, nicht gerade, um sich neue Kraft
zu holen, denn sie hatte nie am Erfolg
gezweifelt, aber doch, um den gewohnten
hellen Klang ihrer Stimme zurückzu-
gewinnen: »Ich nehme von hier die
Erinnerung an Worte mit fort, die man
nie wieder vergisst«.

»O! bloße Gemeinplätze einer
Ästhetik

»Die Sie, lieber Freund, vielleicht
nicht vorgebracht hätten, zu denen
Ihnen der Vorwand gefehlt hätte in
der Einsamkeit unseres Wagens —
wo ist er übrigens? wir wollen ihn
aufsuchen! — die aber hier gezwungen
hervorbrachen unter dem brutalen
Faustschlag der ungeduldigen Menge,
der man um jeden Preis und rasch
etwas verkünden muss, wär’ es auch
nur ein Traum —«

»Der sich seiner selbst nicht bewusst
ist und sich vor lauter Angst nackt

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 9, S. 192, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-09_n0192.html)