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plastischen und musischen Künsten, wenn
nicht nachgewiesen, so doch vermuthet
zu haben, und auf diese Weise die Ele-
mente zu einer, der erkenntnis-theoretischen
Forschung zugänglichen, exact-psycho-
logischen Behandlung des ästhetischen
Grundproblems angedeutet zu haben.
Um jedoch das Geltungsgebiet der
entwickelten Grund-Anschauung genauer
abzustecken, muss noch einer Erscheinung
gedacht werden, welche, obwohl schon
vor geraumer Zeit vorgetragen, nur wenig
Anerkennung erringen konnte: Es ist dies
die Erscheinung der »Organ-Projection«
— im Gegensatze zur Bewusstseins-Pro-
jection, vielleicht richtiger »somatische Pro-
jection« genannt —, auf welche die Auf-
merksamkeit gelenkt worden war durch
die Entwicklung der technischen Cultur
der Neuzeit mit ihren eigentümlichen
constructiven Gebilden, die bei Ausschluss
fast jeglicher ästhetischer Formengebung
dennoch eine innere constructive Einheit
erkennen ließen. — Hier hatte, mehr durch
empirisches Verfolgen als durch deductives
Untersuchen, Kapp, ein deutscher Tech-
nologe, die Anschauung ausgesprochen,
dass die Mechanismen und Apparate der
wissenschaftlichen Technik nichts anderes
seien, als riesenhafte menschliche Organe,
deren Bau und gesetzmäßiges Wirken
der Erfinder durch die intuitive Kennt-
nis seiner eigenen organischen Construction
gestaltend imitiere, »nach außen verlege«.
Diese Betrachtungsart, welche ein vorher
wenig gewürdigtes geistiges Gebiet in
mystisches Helldunkel tauchte, gewinnt an
Schönheit, wenn man sich entschließt, sie
der Fechner’schen All-Bewusstseins-Lehre
sinngemäß einzuordnen. Die Raum und
Zeit überbrückenden Mechanismen werden
dann durch Projection hervorgegangene
Organe, nicht eines erfindsamen Einzel-
wesens, sondern der gesammten, vom
»Erdleib« getragenen Menschheit.
Die beiden hier als typisch heraus-
gehobenen Formen der Projections-Thätig-
keit — somatische Projection und Bewusst-
seins-Projection — bestimmen die Extrem-
werte dieser Erscheinungsreihe. Die Über-
tragung von innen angeschauter orga-
nischer Formen auf die zu gestaltende
Materie bestimmt mit Notwendigkeit den
Entwicklungsgang sowohl der wissen-
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schaftlichen Technik, als des Utilität und
Anmuth in sich vereinigenden Kunst-
gewerbes; die polyphonen Kunstformen
der Musik bergen in sich den Keim zur
psychologischen Vertiefung der an die
Zeit gebundenen Kunstthätigkeit. Plastische
und musische Künste — in der doctri-
nären Ästhetik meist getrennt behandelt
— erscheinen hier als zwei Hauptäste
eines vielverzweigten Stammes, dessen
Wurzeln in den Boden der unbewussten
Trieb weit versenkt sind.
IV.
Bisher ist die Bedeutung der Ausgangs-
Hypothese nur in ihrer Beziehung auf
die ästhetische Production näher erörtert
worden; der wissenschaftlichen Thätigkeit
ist man im allgemeinen nicht geneigt,
ästhetischen Charakter einzuräumen. Wirk-
lich ist die analytische Behandlung der
empirisch gegebenen Außendinge etwas
recht Nüchternes und meist auch Begleit-
Erscheinung eines rationalistischen, das
Futter im Umkreise seines Weidestranges
abgrasenden Kopfes. Anders verhält es
sich mit der synthetischen Auffassung der
Natur, die, ihrer ganzen Art nach der
künstlerischen enge verwandt, für das
Aufdecken großer Naturzusammenhänge
unerlässlich ist. Die synthetische Natur-
betrachtung findet ihren Ausdruck in der
Hypothese, welche nichts anderes ent-
halten kann, als alles vor jeder mög-
lichen Erfahrung über das zu Erklärende,
Geahnte. Ahnen lässt sich gar Manches
und mit einigem Geschick in die Vor-
gänge hineininterpretieren. Fruchtbare
Hypothesen jedoch wird immer nur
ein Geist aufstellen können, der sich mit
dem Naturganzen so vertraut fühlt, dass
sein Bewusstsein sich mit dem Geschehen
der Dinge (welches nichts anderes ist,
als eine Bewusstseins-Beziehung zwischen
den Dingen) lückenlos deckt. Die sub-
jectiven Bedingungen für die künstlerische
und wissenschaftliche Bethätigung sind
somit dieselben. Und nur der Umstand,
dass bei der künstlerischen Production die
Phantasie-Thätigkeit keinen Augenblick
ausgeschaltet werden kann, während bei
der Gedankenarbeit hie und da Einiges
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