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sein fortführender Buddhismus, bieten wollen
und können, so haben derlei unklare und
zweideutige Aphorismen nicht mehr Be-
weiskraft, wie die Blender eines Nietzsche.
Im übrigen stelle ich fest, dass Sie einen
Lufthieb thun, wenn Sie das Karma als
eine Kleinkinderbewahranstalt auffassen,
wo für gute oder schlechte Aufführung
nach äußerlichen Moralbegriffen Lohn oder
Strafe verhängt wird. Nichts liegt ferner!
»Der Zusammenhang von Verschulden und
Leiden« ist ein wesentlich anderer, als
Sie ahnen. Doch davon später! Was
stößt Sie nun zumeist am Buddhismus ab?
— Seine maßlose einseitige Verneinung
des Seins. Und sein wesenloses Glück des
Nicht-Seins soll ich obendrein erst durch
schwerste Zermarterung und Abtödtung
der berechtigten Selbstliebe gewinnen?
Solch unmenschliche Narrheit moralischer
Forderungen erschwert sogar den treuesten
Anhängern, das Pari-Nirwana zu erreichen
— vorausgesetzt, dass letzteres überhaupt
erstrebenswert ist. Und wie soll dies oben-
drein mitten im Kampfe ums Dasein
ermöglicht werden, der soviel Stärke
heischt, die in dem Maße geschwächt
wird, je mehr die buddhistische Lebens-
schwächung sich stärkt?
— Hier schweifen Sie gar schon ins
»Praktische« ab, ohne den Widersinn zu
spüren. »Der Kampf ums Dasein« ist ja
gerade der Todfeind, der bekämpft werden
soll, und Sie fragen, wie man mit ihm
Compromisse schließen soll. Dass »Ver-
neinung des Seins« schlechtweg »wesen-
loses Nicht-Sein«, »berechtigte Selbstliebe«,
»unmenschliche moralische Forderungen«
lauter Trugschlüsse sind, werden Sie später
sehen. Nun bitte weiter mit Ihren Ein-
würfen!
— Wer schuf denn das angebliche Gute
und Böse? Doch nicht ein persönlicher
Gott. Den verwirft ja der Buddhist, mit
Recht.
— Sachte! »Persönlich« und »unper-
sönlich« sind für den letzten Urgrund
kindische Menschenbegriffe. Der Buddhist
streicht nur den thörichten Kirchengott
des Pöbels.
— Wenn ein »persönlicher« Welt-
schöpfer vom Verstande kritisch verworfen
wird, was bleibt dann? Das All-Eine als
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unbewusste Totalität kann doch unmöglich
moralische Weltordnungen erlassen.
— Und wenn nun dieser unbewusste
Gott identisch wäre mit einer moralischen
Weltordnung?
— Und was ist das für ein Ding?
Leugnen Sie, dass die »Moral«, wie der
intellectuelle Banause sie auffasst, nichts
ist als ein historisches Product socialen
Zusammenlebens? Nein? Nun, wie dürfen
Sie denn unseren hinfälligen Moralbegriff
mit dem unbekannten Weltgesetz zu-
sammenleimen? Das wäre doch hoch-
komisch! Also, das All soll sich nach
Statuten der Menschen-Ameisen richten, die
sogar zeitlich und örtlich, social und
klimatisch auf dem Erdball verschieden sind?
— Sogar individuell. Das sogenannte
Gewissen, das noch bei Kant und Anderen
als eingeborene Idee herumspukte, ist gar
nichts als ein Coefficient des jeweiligen
Gehirnzustandes; je feiner der Intellect
(gelenkt vom unbewussten Seelenleben),
desto zarter das »Gewissen«. Man darf
nur nicht irgendwelche einseitigen Ver-
standestalente mit der wahren Beschaffen-
heit der Vernunftreife eines Individuums
verwechseln. Viele »bedeutende« Künstler,
Gelehrte, Staatsmänner, Militärs, Erfinder
u. s. w. sind öde Specialisten ohne jede
Spur höherer Vernunft, traurige Sclaven
eitler Beschränktheit. Viele schlichte und
verborgene Naturen besitzen dagegen einen
Fonds geistiger Vornehmheit. »Bildung« und
»Cultur« sind rein äußerliche Masken, und
die ungelehrten Jünger des Buddha und
Jesus standen geistig höher, als viele hoch-
gebildete Sadducäer und Brahminen. Da
sich demgemäß das Moralgefühl millionen-
fach nach der Denkfähigkeit der Individuen
differenziert, so ist es auch eine Unver-
schämtheit der Ordinären und Mittel-
mäßigen, das Ungewöhnliche und Geniale
überhaupt und nun gar »moralisch«
beurtheilen zu wollen. Das wirklich
Geniale ist immer im höheren Sinne das
Moralische, und es wird eine Zeit kommen,
wo man das After-Geniale, ob äußerlich
noch so kraftvoll sich geberdend, streng
davon unterscheiden wird. Nun gerathen
zwar auch wirklich geniale Naturen öfters
zu gewaltthätigen und sinnlichen Aus-
schreitungen, was als Abfall vom besseren
Selbst zu bedauern ist; es steht aber dem
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