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kirchlichen Moralisten auch hierüber kein
Unheil zu. Denn abgesehen vom unfreien
Zwang, den hierbei immer die Causalität
verübte, sind äußere Handlungen über-
haupt nur relativ, und legt deshalb der
wahre Buddhismus das einzige Gewicht
auf die innere Gesinnung. Wenn ein
roher, gemeiner Mörder ein paar Menschen
teuflisch abschlachtet, so quält ihn als
»geborener Verbrecher« (laut moderner
Criminal-Psychologie und laut — Karma)
sein Gewissen so wenig, dass er oft eine
tiefe Selbstbefriedigung dabei schmeckt, für
die er sogar den Henkerstod gern ein-
tauscht. Wenn hingegen Bismarcks Politik
Unzählige auf Schlachtfeldern wegraffte,
so entschuldigt ihn einerseits sein patrio-
tischer — also selbstloser — Zweck,
andererseits aber erfahren wir mit Staunen
aus einem bekannten Privatbrief, dass ihn
darob die schwersten Gewissensbisse quälten.
Das bekennt ein so »großer Egoist«, wie
er es zweifellos gewesen ist? Wie seltsam!
Und eine — weil intellectuell, deshalb
auch moralisch — viel höhere Erscheinung,
nämlich Napoleon, löst den gleichen Selbst-
widerspruch des kraftvollsten Ich-Auslebens
(zu an sich objectiven Zwecken) zum
ewigen Moralgesetz aus. Er, von Jugend
auf an Schlachtfelder gewöhnt und als
wirklicher Übermensch subjectiv berechtigt,
Menschen als bloße Zahlen zu betrachten,
empfand doch menschlich entsetztes Mit-
gefühl über die Greuel von Eylau, Ebels-
berg, Aspern und Borodino, wie Augen-
zeugen bestätigen, und über das Elend
des Rückzuges aus Russland. Wenn er im
Paroxismus des Cäsarenwahns aufschrie:
»Ich gebe monatlich 30.000 Menschen
aus«, »Ich speie aufs Leben einer Million
Menschen«, so klang dies nur wie ver-
zweifelte Selbstbetäubung, um sich mit
dem Fluch seines ungeheuren Karma ab-
zufinden. Wie erschütternd sein Bekenntnis:
»Glaubt man, dass ich kein Herz habe?
Ich bin sogar ein ganz guter Mensch.«
(Was jeder wirkliche Napoleon-Kenner wirk-
lich unterschreibt.) »Doch von Jugend an
musste ich diese Saite zum Schweigen
bringen.« In der That, er musste, sein
Karma wollte es so, denn nur so konnte
er die träge Welt vorwärtspeitschen und
verjüngen, theilweise indirect und unab-
sichtlich als dämonisches Ich, theilweise
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aber auch mit bewusster guter Absicht, ein
eigenthümlicher Weltbeglücker, in seiner
dämonischen Weise von ehrlicher Menschen-
liebe erfüllt, wenn man ihn recht ver-
stehen will. Zwischen der jämmerlichen
Selbstliebe und Eitelkeit des Durchschnitts-
menschen, der einen Napoleon und ver-
wandte Geniale »moralisch« zu verurtheilen
sich erdreistet, und solch objectiviertem,
d. h. auf objective Ziele gerichtetem
Egoismus liegt eine Welt des Unterschieds.
Und dennoch entgieng selbst dieser Ȇber-
mensch« nicht der unabänderlichen logischen
Folge jedes Ich-Aufbäumens, und seine
Schriftstellerei auf St. Helena durchtönt
eine stete Debatte mit seinem (nicht
einem abstract diesseits von »Gut und
Böse« feststehenden) Gewissen, sich vor
sich selbst zu rechtfertigen.
— Alles tief und schön, und ich staune,
wie ein auf modernstem Boden Wurzelnder
dann noch zum uralten Kram zurückgreift.
Denn was gewinnen Sie damit für die
Karma-Lehre?
— Das Uralte ist das Urwahre, und
die künftige Menschheit wird auf dem
Umweg des Materialismus, der das
Kirchengeröll wegräumte, dorthin zurück-
gelangen; es sei denn, der Umweg ver-
leite sie zu dauerndem Irrweg. Was
wir für »Karma« damit gewinnen? Das
will ich Ihnen sagen. Zuvörderst be-
merken Sie wohl, dass alle großen
Männer »Fatalisten« waren, wie die un-
wissende Welt es nennt, d. h. unbe-
wusste Anhänger der Karma-Lehre. Wallen-
steins und Napoleons Glaube an ihren
»Stern« ist absolut das Gleiche und ver-
muthlich sogar buchstäblich richtig ge-
wesen. Ersterem diente bekanntlich der
große Kepler als Astrologe, und die
moderne, superkluge »Wissenschaft« kann
sich noch immer nicht über diese trost-
lose Verirrung beruhigen, ebensowenig
über die »Verkinschung« Newtons, der
sich vorkam, »als habe ein Knabe am
Ocean der Wahrheit ein paar Muscheln
gefunden«, und mit Auslegung der Apo-
kalypse endete, sowie Kant und Schopen-
hauer als Spiritisten, was übrigens bei des
Ersteren schon früherer Annahme eines
»Corpus mysticum« und »intelligibler
Geisterwelt« nicht Wunder nimmt. Das
bereitet natürlich den »klaren Denkern«
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