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Der Metaphysik der Musik hatte Schopen-
hauer Zeit seines Lebens die größte Aufmerk-
samkeit gewidmet; die nur an die Anschau-
ungsform der Zeit gebundene Kunst erwies
sich ihm am geeignetsten für die Demon-
stration einer ästhetischen Grund-Anschau-
ung, die den Künstler als den die Platonischen
Ideen in ihrer vollkommensten Reinheit —
frei vom Satze des zureichenden Grundes
— Erkennenden betrachtet. Dennoch hat
Schopenhauer nur wenig über die Cardinal-
fragen der Musik-Psychologie niederge-
schrieben, und sich — in seinem Haupt-
werke und den hiezu gehörigen Zusätzen
— darauf beschränkt, die Musik als
Darstellung der Willens-Objectivationen
höchster Stufe nachzuweisen. Die übrigen
musik-aesthetischen Erörterungen des Philo-
sophen sind rein aphoristisch aufzufassen
und sind — wie jeder einsichtige Schopen-
hauer-Verehrer gerne zugeben wird —
vor einer tiefer gehenden Kritik nicht
zu halten.
Als thätiger Erbe des Schopenhauer-
schen Gedankenkreises, insoweit dieser
die Musik-Aesthetik betrifft, will der
Autor der vorliegenden Studie betrachtet
werden. Er steht völlig im Bannkreise
des Schopenhauer’schen Systems, infolge-
dessen auch unter dem Zeichen der
transcendentalen Kunst-Anschauung, wie
sie Wagner in seiner »Beethoven«-Fest-
schrift in ebenso klarer, als begeisterter
Weise zum erstenmale entwickelt hat.
Wenn man erwägt, dass hier die Reflexionen
eines gewaltigen schaffenden Künstlers in
der ungezwungensten Weise die aus der
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theoretischen Betrachtung geschöpften Er-
kenntnisse eines Denkers illustrieren und
weiterführen, so ist es wohl begreiflich, dass
sich ein empfänglicher Musik-Psychologe
dem willkommenen Zwange dieser Syste-
matik nicht gern entzieht. Für jeden Fall
aber obliegt es dem Recensenten, diesen
vom Autor gewählten und unumwunden
bezeichneten Standpunkt entweder bedin-
gungslos anzunehmen oder die Recension
einfach abzulehnen.
Unter diesem Gesichtspunkte muss die
vorliegende Arbeit zunächst als eine weit aus-
spannende, die Gedanken Schopenhauers
und Wagners geistreich und kühn weiter-
führende Studie bezeichnet werden. Sie
ist von hohem künstlerischen Ernst ge-
tragen und berührt theilweise wenig, theil-
weise noch gar nicht näher untersuchte
Probleme der theoretischen Musik-Ästhetik.
Ehe jedoch das vom Verfasser auf-
gestellte Schema kritisch beleuchtet wird,
dürfte es am Platze sein, seine wichtigsten
Thesen so kurz als möglich wiederzu-
geben. Sie betreffen — nach dem Inhalte
des vorliegenden (I.) Bandes — die
(metaphysischen) Urgesetze der »Melodik
und Intervallik« und könnten folgender-
maßen formuliert werden:
1. Durchwegs aufsteigende Motive
drücken das Entstehen, Werden aus
(»Werde«-Motive).
2. Durchwegs fallende Motive be-
zeichnen das Vergehen (sind willensver-
neinend, »Vergeh«-Motive).
3. Auf- und absteigende Motive be-
zeichnen das immanente Dasein schlecht-
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