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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 233

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BLEIBTREU: DIALOG ÜBER ESOTERISCHEN BUDDHISMUS.

noch dem kirchlichen Irrthum Geschmack
abgewinnen, als sich der ernsten Logik
buddhistischer Speculation zuwenden. Doch
Sie wollen mich sicher noch mit »Ver-
nichtungen« der buddhistischen »Moral«
erfreuen. Ich bitte sehr darum!

— Zu diesem Zweck biete ich Ihnen
Ausschnitte aus dem sogenannten Kate-
chismus des Subhadra Bhikschu.

— Halt! Mögen Sie das! Aber für
etwaige unklare Begriffsstellungen darin
sind weder Buddha — dessen eigene Reden
hier allein in Frage kommen — noch der
esoterische Buddhismus verantwortlich.
Das Missgeschick der Laien besteht darin,
dass sie immer nur den exoterischen Budd-
hismus, und zwar in einzelnen Aufzeich-
nungen, kennen lernen, dagegen vom Ge-
sammtbau, anfangend mit der Vedanta-
Lehre, keine Ahnung haben. Viel besser
thäten Sie, die Baghavad Gita in Hart-
manns prachtvoller Nachdichtung sich zu
eigen zu machen. Da Sie jedoch einmal
auf den Katechismus sich versteifen, den
wohl kein esoterischer Buddhist besonderer
Aufmerksamkeit würdigt, so legen Sie
nur los!

— Also! Die moralische Weltord-
nung beruht auf ewiger Gerechtigkeit, und
daher findet jede böse That auch die ihr
entsprechende sittliche Vergeltung in dieser
oder den folgenden Geburten. Doch kann
keine zeitliche Schuld ewige Strafe zur
Folge haben. Was, ewige Gerechtigkeit?
Soll —

— Der Accent liegt auf letzterem
Satze, um dem ekelhaften Aberglauben
einer »ewigen Verdammnis« und »Hölle«
den Garaus zu machen. Doch Sie lassen
diese wohlthätige Wahrheit natürlich
unbeachtet, um wieder die schon früher
berührte Frage anzuschneiden, woher die
moralische Weltordnung stamme. Das ist
eigentlich einfach. Ordnung ist Harmonie
und kann daher nur Harmonisches dulden;
der überreizte Ich-Wille aber ist dishar-
monisch, stört die Ordnung. Ordnung ist
Gerechtigkeit und Gerechtigkeit der klarste
Ausdruck der Moral, »moralische Welt-
ordnung« somit ein Pleonasmus, denn
Ordnung ist Moral und Moral Ordnung.
Sobald Sie also als Naturwissenschafter der
»prästabilierten Harmonie« des Alls ein

Loblied singen, haben Sie schon die
»moralische Weltordnung« constatiert.

— Ja, moralisch in höherem, als
Menschensinn! Was ist aber eine »böse
That«? Und »Strafe« ist Rechtsvoll-
streckung eines persönlichen Richters, wie
denn ein Zwecksetzen nur von einem per-
sönlichen Wesen verwirklicht werden kann.

— Wir drehen uns wieder im Kreise,
mit dem ganz unnützen, steten Hinein-
schmuggeln des vagen Begriffes »per-
sönlich«. Wenn ein Mörder infolge Ge-
wissensqualen sich selber anzeigt und
Rechtsvollstreckung selber wünscht, so
handelt er kraft Einfluss welches per-
sönlichen Richters? Eines unbekannten,
unpersönlichen Agens in ihm selbst, das
doch nicht identisch ist mit seiner »Person«,
die persönlich vorher ungescheut den
Mord vollzog. Weshalb soll ein Zweck-
setzen irgendwie an »Persönliches« ge-
bunden sein? Behaupten Sie doch, dass
die großen Naturgesetze sich ohne »per-
sönliche« Vorsehung harmonisch regen
und dabei die denkbar vollkommenste
Zweckmäßigkeit entfalten. Ist dem so, so
wäre doch nur logisch, dass die — mit
den äußerlich sichtbaren Naturgesetzen
natürlich identischen — innerlichen un-
sichtbaren spirituellen Gesetze der Welt-
ordnung, gleichfalls unpersönlich, auch
gleichfalls zweckmäßig wirken. Leugnen
Sie das und wollen dann noch Monist
sein?

— Gut. Wer sagt aber, dass »Strafe«
für »Böses« zweckmäßig, dass überhaupt
moralisch »Böses« für All-Gesetze vor-
handen sei?

— Ich antwortete schon. Das »Böse«
ist alles das, was der Ordnung wider-
strebt, die an sich selbst moralisch ist.
Das »Böse« ist nicht böse um seiner
selbst willen, sondern weil es aus thörichtem
Vordrängen des Ichs auf Kosten Anderer
entspringt, was die ewige Ordnung als
disharmonisch nicht dulden kann.

— Nun, dann dürfte der atheistische
Buddhismus wenigstens nicht von Lohn
und Strafe, sondern nur von günstigen
oder schlimmen Consequenzen reden.

— Und wer redete Ihnen vor, dass
er es je anders auffasste? Ja sogar Ihr
Katechismus da lässt hierüber keinen
Zweifel.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 233, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-11_n0233.html)