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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 235

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BLEIBTREU: DIALOG ÜBER ESOTERISCHEN BUDDHISMUS.

keit eines »Himmels« für unausgereifte
Erdenwürmer, die aus dem Mutterschoß
einen Passepartout für »Unsterblichkeit«
nach Ablauf einer kürzeren oder längeren
Wartezeit auf Erden mitbringen sollten!
Nehmen Sie hingegen das Karma zum
Ausgang, so wird die endlose Verschieden-
heit der Ursachen von »Gut« und »Böse«
klar und die erkannte Unfreiheit des
Willens im Erdenleben hebt dann weder
»Gut« und »Böse« an sich auf, noch bleibt
sie unvereinbar mit der gerechten Ordnung
der Dinge, die sonst bei jeder anderen
Anschauung nothwendig in die Brüche
geht. Für höhere »Moral« der Weltord-
nung kann nur Karma als logische
Grundlage gelten.

— Das klingt allerdings viel logischer,
als mein Katechismus. Denn der faselt
plötzlich davon, dass »Verdienst und Schuld,
Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit eigent-
lich nur bildliche Ausdrücke, alles nur
nothwendige Folge« — also unmoralische
Consequenz — »unseres rechten oder ver-
kehrten Wollens und Thuns sei«. Des »rech-
ten«? Phrase und Schwindel! Denn vorher
war ja alles »relativ«, und wenn »Gerech-
tigkeit« nur bildlicher Ausdruck, beruht
trotzdem die Welt auf Gerechtigkeit?

—Wenn man mit solcher Haarspalterei
verfährt und jede einzelne Wendung seiht
und siebt, kann niemandens Philosophie
die Probe bestehen, am wenigsten die des
Materialismus. Ich habe schon gesagt,
dass der Katechismus sich unklar und
phrasenhaft ausdrückt; doch er ist für
Gläubige geschrieben, die ja anderswo
Belehrung und Commentare suchen können,
nicht für materialistische Zeloten, die mit
vorgefasster Absicht herangehen. Dass
der Buddhismus »eigentlich« nicht Lohn,
Strafe, Verdienst, Schuld anerkennt, ent-
spricht naturgemäß der Lehre von Karma
und Vorbestimmung, und sollte Sie als
Anbeter der deterministischen Causalität
doch anheimeln; trotzdem aber haben Sie
früher im gleichen Athem dem Buddhismus
überspanntes Moralisieren vorgeworfen!
Unserer beschränkten menschlichen Be-
trachtung angepasst, müssen wir jedoch
den Begriff der »Gerechtigkeit« festhalten,
falls wir nicht eine aus dem Ich-Wahn
geborene kleinliche Auslegung damit ver-
binden. Der Katechismus hätte daher aus-

drücklich feststellen sollen, dass »Gerechtig-
keit« nur insofern ein verfehlter Ausdruck
sei, als eben Gerechtigkeit und Noth-
wendigkeit
(»nothwendige Folge«) in
dieser großartigen All-Harmonie unzer-
trennbar eins
sind. Soll heißen: das,
was wir als eine »Tugend« Gerechtigkeit
benennen, etwas »Moralisches« kennt das
All-Gesetz nicht, sondern nur ein hoch
über Moral und Unmoral erhabenes strenges
Abstractum der ethischen Nothwendig-
keit
, geradeso unabänderlich, wie Attraction
und Gravitation und Bahn der Planeten.
Der Buddhismus hat daher, richtig ge-
nommen, überhaupt keine Ethik, sondern
nur eine Weisheits- und Glückseligkeits-
Anleitung. Unter »rechter Erkenntnis«
ist also nichts Moralisches zu verstehen,
sondern unbefangene logische Prüfung der
Gesetze unserer Natur im Verhältnis von
Ich und All. Dies »Rechte« ist also kein
ethisches Verdienst, sondern eine noth-
wendige Folge einer günstigen Karma-
Evolution.

— Und dies »Rechte« soll durch
»Vernichtung des Lebenswillens« erzielt
werden — auch des guten Willens, der
sich aufs Nirwana richtet?

— Wie oft soll ich sagen, dass hier
wieder die greuliche Verwechslung von
»Leben« und »Ich« herrscht! Setzen Sie
»Ich-Willens«, so ist jeder Zwiespalt gelöst.

— Nun hören Sie folgenden Blödsinn:
»Gute Thaten aber rechnen nicht zum
Karma, werden uns nicht angerechnet,
von ihnen sind wir innerlich losgelöst,
sie haften uns nicht an und vermehren
unser Karma nicht« — und hernach heißt
es trotzdem, es gebe »lichte Welten der
Freude, wo der gute, aber noch nicht
zur Erlösung gelangte Mensch die Frucht
seines Tugendverdienstes genießt« — nun
auf einmal wieder »Verdienst« »guter
Thaten«, die uns jedoch »nicht anhaften«!
Löse mir, o Örindur!

— Nun ja, das ist allerdings intellectuelle
Unsauberkeit und Unrechtschaffenheit, mit
beliebiger Umdeutung derselben Begriffe.
Beschränkung des Karma nur auf die
»bösen« Thaten des Ich ist ein Unding.
Im Gegentheil, wohl haften uns die guten
Thaten an, ja erst recht, bilden den
wesentlichsten Bestandtheil des künftigen
Karma der nächsten Wiedergeburt. »Die

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 235, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-11_n0235.html)