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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 236

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BLEIBTREU: DIALOG ÜBER ESOTERISCHEN BUDDHISMUS.

lichten Welten der Freude« und »die
dunkeln Welten der Pein« — ein Wider-
spruch zu der Behauptung: »Es gibt
weder Himmel, noch Hölle« ist das zwar
nicht, wie Ihnen, ich sehe es, auf der
Lippe schwebt; denn die Erklärung dafür
gehört ins occulte Gebiet, wo diese aller-
dings sehr ausgedehnten Himmel und
Höllen in einem anderen Sinne sich ent-
hüllen: der Katechismus meint offenbar
mit seiner unklaren Rederei, dass es
Himmel und Hölle in grobsinnlicher Auf-
fassung der Christen und Mohammedaner
nicht gibt, dagegen uns unvorstellbare,
schattenhafte Jenseits-Sphären jenseits der
diesseitigen Bewusstseinsschwelle. Doch
dies, sowie die Ausmalung des Lichtlandes
Devachan, das im Grunde doch dem
»Paradies« oder dem »Svarga« der Hindu-
Mythologie ähnelt, dürfte wohl eine spätere
Pfaffen-Interpolation sein und hat mit dem
wahren Kern des Buddhismus und der
Karma-Lehre nichts zu schaffen.

— Also mein vorhergegangener Mensch
ist doch eigentlich nur ein illusionärer,
puppenhafter Zustand, und dennoch soll
ich für seinen Zustand büßen, obschon
durch den Tod das Bewusstsein unter-
brochen wird und die Skhandas, die
Elemente des individuellen Lebens, aus-
einanderfallen? Wie kann dann noch von
Wiedergeburt des »gleichen Menschen«
die Rede sein? Nur beim Festhalten der
Individualität hätte Karma Sinn. Nur das
Ego könnte den Tod überdauern, als
Quintessenz menschlicher Wesenheit; nur
dieser rothe Faden könnte die beiden
Mensch-Identitäten von Tod zu Wieder-
geburt verknüpfen.

— »Hätte«, »könnte«! Schon wieder
Irrthümer, die ich erledigte. Denn natürlich
hat und kann Karma nur diesen Sinn
haben, und wer es anders auslegt, hat
von der Lehre keine Ahnung. Doch ich
sagte schon, dass das Ego auf tieferem
Grunde wurzelt, als der »Person«, und
für das transcendente Ego ist das Zerfallen
der Skhandas nur ein Zwischenact, als
ob ein Schauspieler sich die Schminke
abwäscht, die Maske ablegt und ein
Gewand für die andere Rolle anzieht.
Übrigens setzt Ihnen schon der alte
brahminische Occultismus auseinander, dass
von den sieben Stoffen, aus denen der

Mensch besteht, im Tode nur die eine
Hälfte zerfällt, die andere noch eine Weile
fortdauert, bis zuletzt nur das Princip der
Lebensseele (Manas) übrig bleibt, die
spirituelle Zelle, die sich nun eine neue
Verkörperung aufbaut. — Ebenso sagte
ich doch schon, dass Wiederkehr des
»Gleichen« nur für die Lebensbedingungen
an sich und die höhere »Persönlichkeit«,
niemals für die Personen der Wieder-
geburten gilt, und endlich bitte ich, Worte
wie »Büßen« auszumerzen, nachdem wir
feststellten, dass Strafe, Buße, Schuld
vom Buddhismus nie im banausischen
Sinne gebraucht werden. Wenn ich ge-
zwungen bin, in einer bestimmten Form
neu geboren zu werden, so »büße« ich
nicht, sondern setze bloß logisch mein
Leben fort, wo ich es früher verließ.
Allerdings unter verändertem Milieu, was
unendlich weise und liebevoll eingerichtet
ist, weil ein Fortleben in immer gleichen
Zuständen unerträglich wäre.

— Deshalb wird wohl auch das mensch-
liche Bewusstsein zwischen Tod und Wieder-
geburt sistiert? Alle moralische Zurech-
nungsfähigkeit kettet sich aber an das
Bewusstsein und trotzdem soll ich unbe-
wussterweise im folgenden Karma-Leben die
Schulden der früheren tilgen?

— Das Erlöschen des Person-Bewusst-
seins im Tode ist geradeso nöthig, wie
der Schlaf dem Körper, der gleichfalls
temporäres Vergessen und Aufheben des
Bewusstseins täglich darstellt, jedoch keines-
wegs die Erinnerung der eigenen Identität
schwächt, so dass der Mensch nach dem
Schlafe genau wieder anfängt, wo er vor-
her aufhörte. Die Wiedergeburt thut das
Gleiche, nur mit noch heilsamerem tieferen
Vergessen, das Bewusstsein frisch ver-
jüngend. Jedoch lehrt Buddha ausdrücklich,
dass in Graden höherer Weihe, in der
vierten Schauung, alle früheren Karma-
Leben dem inneren Auge vorüberschreiten,
und es ist bekannt, dass in Träumen
oder in blitzartig jähem Empfinden häufig
Menschen sich an etwas zu erinnern
glauben, was sie einst in einem anderen
Leben sahen oder erlebten. Dass hervor-
ragenden Geistern ihre Identität mit einer
früheren Erscheinungsform zum inneren
Bewusstsein kommen kann, darüber ließe
sich manches berichten. Im übrigen bitte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 236, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-11_n0236.html)