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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 238

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BLEIBTREU: DIALOG ÜBER ESOTERISCHEN BUDDHISMUS.

richtiger als Deisten, wie Voltaire und
Rousseau, nicht schlechtweg als Spino-
zisten auffassen soll. Bei Spinoza, der
scheinbar so krystallinisch rein das Be-
griffliche formulierte, wird man sein Milieu
in Anschlag bringen müssen, dem sich
auch der Reifste nicht ganz zu entziehen
vermag, insofern die Verfolgungen des
Pfaffenthums in solchen Männern unwill-
kürlich einen Widerwillen gegen jede
»Religion« aufreizen, der sie zu über-
triebenen Zuspitzungen verführt. Dass
Pantheismus zum »Atheismus« logisch
hinleite, ist eine Begriffsverwirrung, denn
die ›Substanz« Spinozas wird, genau be-
sehen, auch zur Gottheit und die »be-
seelte Atomistik« der Materialisten nicht
minder. Alle philosophischen Systeme
aber, und gehen sie von den verschieden-
sten Richtungen aus, treffen sich: Demo-
krit mit Heraklit, die Eleaten mit Plato
und Aristoteles, die schottischen Spiritua-
listen mit den englischen Sensualisten,
Descartes mit Leibniz u. s. w., in dem
einen allzusammenfassenden Meere der
indischen Gedankenwelt. Dies zu erörtern,
ist hier nicht die Stunde. Auch vieles,
was Goethe und Byron dichterisch aus-
sprachen, war unbewusst buddhistisch, und
ersterer verräth in manchen Sprüchen ein
Wissen oder wenigstens Ahnen des Oc-
culten. Und wenn Goethe zuversichtlich
hoffte: »Kein rechter Kerl habe je an
seiner Unsterblichkeit gezweifelt, die Natur
sei verpflichtet, ein neues Gewand zu ver-
leihen, wenn man im alten nach Kräften
gewirkt habe«, und soweit gieng: »Jeder
schöpferische Gedanke, jedes hohe Gefühl
komme nicht aus uns, sondern aus höheren
Sphären, und sei als himmlisches Geschenk
dankbar und ehrfürchtig zu empfangen«, so
entspricht beides auf ein Haar den That-
sachen der Wiedergeburt und Vorbestim-
mung, nur in naiv- unabgeklärter Auf-
fassung gegenüber dem großartigen System
des Karma. Was aber die Heilmittel be-
trifft, die zur Vertilgung Karmas und Er-
langung Nirwanas von Buddha geboten
werden, so hat Jesus in den Hauptpunkten
das Nämliche ausgesagt, und die katholi-
sche Kirche suchte sogar ihren Priestern
das buddhistische Gelübde der Armut und
Keuschheit aufzuhalsen — ungeschickte
Verwechslung der freiwillig zu Dienern

des Heiligen Berufenen mit beliebigen
amtlich patentierten Zwangsdienern, denen
natürlich jede Vorbedingung zur Erfüllung
solcher Anforderungen fehlt und die daher
günstigenfalls hiedurch in fanatische Ver-
rücktheit, meist aber in stinkende Heuchelei
und heimliche Ausschweifung verfallen.
Immerhin hat es stets Ausnahme-Priester
gegeben, die als echte Berufene mit Er-
gebung und Heiterkeit die Heiligung ihrer
Gelübde zu erfüllen trachten; von irgend-
welcher Unmöglichkeit der buddhistischen
Anforderungen kann also keine Rede
sein. Das wird sich eben unendlich diffe-
renzieren, je nachdem das Individuum mehr
oder weniger sinnlich-begehrlich angelegt ist.
Kann im übrigen wohl Buddha etwas
dafür, dass »Kama Ruza«, das materielle
Phänomen, so derb verknotet ist und der
Mensch sich so schwere Gewalt anthun
muss, um Thierisches zu überwinden?
Mit mathematischer Sicherheit steht fest,
dass nur auf dem von Buddha empfoh-
lenen Pfade die säuberliche Reinheit ge-
wonnen werden kann, die für echtes
Geistesleben in Nirwana unerlässliche Vor-
bedingung ist — die All-Liebe nur nach
Bezwingung der sexualen, das All-Gut nach
Abwerfung materieller Güter. Ebenso steht
fest, dass jedes andere Leben (in Sansara)
nothwendig Unrast, Enttäuschung, Qual
und gar Verzweiflung mit sich bringt. Man
braucht dies noch nicht als »consequenten
Pessimismus« auszulegen, wovon ein ge-
läuterter Chela (Adept) im Sinne Meister
Buddhas nichts wissen will. Denn Lust
und Unlust bedingen sich, das Leben ist
also an sich noch kein Nicht-Gut, unter
Umständen sogar ein absolutes Gut, wenn
man es als Mittel zum Übergang ins Geistes-
leben betrachtet. Das Leben verneinen,
hieße verneinen, dass die Sonne strahlt,
und der Buddhismus stimmt gerade ein
hohes Lied des ewigen Lebens an. Des-
halb verdammt er auch den Selbstmord
als einen Wahn des Ich, und Buddha
schied sich bald von den Asketen, empfand
unnütze Selbstpeinigung gleichsam als eine
Schändung des heiligen Lebens, das man
zu Besserem gebrauchen kann. Mit köst-
licher Ironie beschreibt er, wie er sich bis
auf ein Reiskorn pro Tag herunterhungerte
und dabei immer dümmer wurde, bis er
resolut einen tüchtigen Reisbrei aß und

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 238, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-11_n0238.html)