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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 240

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VAN DE VELDE: VORSCHLÄGE ZUR KÜNSTLER. HEBUNG DER FRAUENTRACHT.

Schwindel, so wie man den Cagliostro
(dessen Physiognomie ein Lavater die
edelste nannte, die er je sah) und die
Blavatsky, allen Thatsachen hohn-
sprechend, als angeblich entlarvte Betrüger
ausschrie. Dies wird solange fortgehen,
bis eines Tages ein Mahatma belieben
wird, auf Geheiß höherer Urkraft den
Menschen die Binde wenigstens theil-
weise von den Augen zu reißen. Bis
dahin begnügen wir uns, festzustellen, dass
die Caricatur des Buddhismus, die man
in der europäischen Legende für sein
wahres Wesen ausgibt, nirgends un-
widerstehlicher zum Lachen reizt, als wo
sie von der Lahmlegung und Schwächung
der Willenskraft durch die culturfeindliche
indische »Askese« schäkert. Wie nicht
das Leben, so verneint der esoterische
Buddhismus auch nicht den »Willen«,
sondern bejaht ihn und stärkt ihn bis
ins Übermenschliche, indem er den klein-
lichen Ich-Willen ausmerzt. Nur dieser
aber ist unfrei
, nicht der transcen-
dente objectivierte Wille zum All, und
aus diesem Widerspiel ergibt sich die
freie Nothwendigkeit. Das letzte un-
beschreibliche Geheimnis Buddhas, mit
Worten nicht zu offenbaren, hat er in der
Parabel »Die Heimsuchung Brahmas« aus-

gedrückt, worin der absolute Triumph des
Geistes — des wahren, selbstherrlichen
Gott-Königs aller Dinge — über die sicht-
bare Materie der äußerlichen Schöpfer-
natur symbolisiert. Er spricht hierin von
drei Formen des höheren und höchsten
Daseins (jenseits der Materie), die wir
minder Erkennenden wohl ahnen, doch
nicht ganz begreifen können. — Für
diesmal genug! Denn die hier anknüpfende
Yoga-Lehre braucht eigene occulte For-
schung, was ich innerhalb unseres Aus-
legungssystems bezeichne als: Aufhebung
des unfreien Willens der Materie
.
— Ja, ich habe nicht alles begriffen;
jedenfalls haben Sie mich nicht über-
zeugt.

— Das glaub’ ich gern. Denn wie
Jesus sagt: »Dies halsstarrige, verstockte
Geschlecht verlangt ein Zeichen. Aber
wenn sie Moses und den Propheten nicht
glaubten, so würden sie auch nicht glauben,
wenn die Todten auferständen.« Wer
sich vom Geiste nicht erleuchten lässt,
den wird auch die Sinnestäuschung
materieller Acte, die ihm als das Wirk-
liche imponieren, nicht bekehren, und die
theoretische Beweiskraft des Buddhismus
ist ihm ein posthypnotischer Schwindel.
— Sela!

VORSCHLÄGE ZUR KÜNSTLERISCHEN HEBUNG DER
FRAUENTRACHT.
Von HENRY van de VELDE (Berlin).

Da ich die Eigenart zu definieren
suchte, welche bei den unterschiedlichen,
eine besondere Tracht erfordernden An-
lässen der Frauenkleidung zukäme, ge-
langte ich durch Abstraction endlich zu
drei Hauptstufen. Diese sind: das Haus,
die Straße, die Feier. Ich schlug dem-
gemäß vor, von nun an als Princip für
die Bekleidung im Haus die Individualität,
auf der Straße die annähernde und auf
dem Feste die vollkommene Gleichförmig-
keit zu betrachten.

Der erste dieser Vorschläge, obgleich
er schwierig durchzuführen ist und viele
Anforderungen stellt, wurde am wohl-
wollendsten aufgenommen. Wollte ich nach
den Zustimmungs-Kundgebungen anlässlich
meiner Vorträge urtheilen, so müsste ich
eine baldige Reform im individualistischen
Sinne voraussagen. — Immerhin hatte
ich gerade diesbezüglich ziemlich viel
verlangt, denn ich forderte von der Frau
eine starke persönliche Anstrengung; ich
weise sie auf sich selbst, ihr ihre bevor-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 11, S. 240, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-11_n0240.html)