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des vorgesetzten Objectivs; hypothetisch
— es ist wahr — immer eins, in den
Subjecten immer verschieden, was die
Frage compliciert und die Möglichkeit
jedes unwiderleglichen Kriteriums der
Grade der passiven Aufrichtigkeit des
Künstlers vor der Natur zerstört.
Der Kritiker ist daher immer un-
glücklicherweise bei dieser Determi-
nation, und selbst bei der reinen und
einfachen Versicherung oder reinen und
einfachen Verneinung dieser passiven
Aufrichtigkeit, auf mehr oder weniger
muthmaßliche, aber immer strittige
Folge-Erscheinungen beschränkt.
Nichtsdestoweniger halte ich dafür,
dass es, in dem Fall von Vincent van
Gogh, trotz der manchmal verwirrenden
Seltsamkeit seiner Werke, für Den, der
unparteiisch sein will und zu betrachten
weiß, schwer sein wird, die naive
Wahrhaftigkeit seiner Kunst zu ver-
neinen oder zu bestreiten. In der That,
abgesehen von dem undefinierbaren
Parfüm des guten Glaubens und des
wahrhaft Gesehenen, das alle seine
Gemälde aushauchen, bestätigen uns
die Wahl seiner Vorwürfe, der bestän-
dige Rapport der außerordentlichsten
Noten, das gewissenhafte Studium
der Charaktere, das ununterbrochene
Suchen des wesenhaften Merkmals
jedes Dinges, tausend bezeichnende
Details unbestreitbar seinen tiefen und
beinahe kindlichen Ernst, seine große
Liebe der Natur und des Wahren —
des für ihn Wahren.
Es sei uns daher erlaubt, nachdem
dies zugegeben ist, von den Werken
Vincent van Goghs auf sein mensch-
liches oder vielmehr künstlerisches
Temperament zu schließen, eine Fol-
gerung, die ich, wenn ich wollte, mit
biographischen Thatsachen bekräftigen
könnte. Das, was sein ganzes Werk
besonders macht, ist der Excess, der
Excess in der Kraft, in der Nervosität,
die Heftigkeit des Ausdrucks. In seiner
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kategorischen Betonung des Charakters
der Dinge, in seiner oft tollkühnen
Vereinfachung der Formen, in seiner
Frechheit, die Sonne von Angesicht zu
Angesicht zu zeigen, in dem wilden
Feuer seiner Zeichnung und seiner
Farbe, bis in die kleinsten Besonder-
heiten seiner Technik erhebt sich ein
Gewaltiger, ein Mann, ein sehr oft
brutaler und manchmal aufrichtig zärt-
licher Wager. Und ferner, es offenbart
sich dies in den fast orgiastischen,
äußersten Rasereien all dessen, was er
gemalt hat; er ist ein Begeisterter,
ein Feind der bürgerlichen Mäßigkeiten
und der Kleinigkeiten, eine Art trunkener
Riese, fähiger, Gebirge zu erschüttern,
als Nippsachen in die Hand zu nehmen,
ein Gehirn in Wallung, seine Lava
in alle Schluchten der Kunst ergießend,
unwiderstehlich, ein schreckliches, wahn-
sinniges Genie, oft erhaben, manch-
mal grotesk, immer fast an Pathologi-
sches rührend. Endlich und vor allem,
er ist ein Überempfindlicher, deutliche
Symptome zeigend, mit anormaler,
vielleicht schmerzhafter Itensität, die
undurchdringlichen und geheimen
Charaktere der Linien und der Formen
durchdringend, aber noch mehr die
Farben, die Lichter, die den gesunden
Augen unsichtbaren Nuancen, die
magischen Regenbogenschimmer der
Formen. Und dies ist’s, weshalb sein
Realismus, der des Nervenkranken,
und warum seine Aufrichtigkeit und
seine Wahrheit so verschieden sind
von dem Realismus, der Aufrichtigkeit
und der Wahrheit der großen kleinen
Bourgeois von Holland, mit der guten
Gesundheit, sie, mit dem guten Gleich-
gewicht der Seelen, die seine Vorfahren
und seine Meister waren.
Jedoch genügen dieser Respect und
diese Liebe zur Realität der Dinge
kaum allein, um die tiefe, zusammen-
gesetzte und sehr besondere Kunst
Van Goghs zu charakterisieren. Ohne
Zweifel ist er, wie alle Maler seiner
Rasse, der Materie sehr bewusst, ihrer
Wichtigkeit und Schönheit, aber zumeist
betrachtet er diese Zauberin Materie
nur als eine Art wunderbarer Sprache,
dazu da, die Idee zu übermitteln. Er ist
beinahe immer Symbolist. Keineswegs,
das weiß ich, ein Symbolist nach Art
der italienischen Primitiven, dieser
Mystiker, die kaum das Bedürfnis
empfanden, ihre Träume zu desimma-
terialisieren, aber ein Symbolist, der
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