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Boehmes Grundproblem, um das sich
alle seine Gedanken scharen, ist das Ver-
hältnis des Einzelnen zur Welt.
Die Welt bleibt das Räthsel, das auf
Einen einwirkt, auf das Einer einwirkt,
und das doch ewig fern und fremd ist.
Der Einzelne verzehrt sich in stummer,
hoffnungsloser Einsamkeit. »Wir finden,
dass das Leben ein brennend Feuer sei,
das da zehrt; und so es nicht mehr zu
zehren hat, erlischt es.«
Gott und Natur sind ihm eins, wie
Seele und Körper oder vielmehr wie
Energie und Organismus. »Auch siehst
du« — meint er — »wie die Natur nicht von
den Kräften Gottes unterschieden werden
könne, sondern es ist alles ein Leib. Wir
erkennen, dass Gott in seinem eigenen
Wesen kein Wesen ist, sondern bloß nur
die Kraft oder der Verstand zum Wesen,
als ein ungründlicher, ewiger Wille.«
Nun ist es fraglich, wie aus dieser
Krafteinheit die Welt der einzelnen und
verschiedenen Dinge, oder, was dasselbe
bedeutet, wie aus Gott der Mensch
entsteht. Er erklärt sich dieses Werden
durch das Element des Spieles, das der
Kraft innewohnt. Alle schöpferische Selbst-
bethätigung ist ihm ein Spiel, wie denn
ja auch uns Spielen und Schaffen wesens-
verwandt sind, beides eine vom Nutz-
Zwecke befreite Ausgabe organischen
Kraft-Überschusses. Gott geht in die
Natur ein, »dass seine Kraft möge
in Schiedlichkeit und Empfindlichkeit
kommen, und dass ein Bewegen und Spiel
in ihm sei, da die Kräfte miteinander
spielen und sich in ihrem Liebesspiel und
Ringen also selber offenbaren, finden und
empfinden.« So wachsen aus der spielenden
Urkraft die in ihr schlummernden Formen
heraus. Und so ist alles Wesen um des
Spieles und des schöpferischen Kampfes
willen da; die Welt hat keinen anderen
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Sinn und Zweck als diesen. Sie ist der
Ort der Kräfte, »darinnen sie ihr Liebes-
spiel als in einem Gehäuse verbringen
können, dass sie etwas haben, damit und
darinnen sie mit ihrem ringenden Liebes-
spiel mit sich spielen«.
Weil aber die Einheit aller Kraft nur
durch das Wirken der Kräfte in der Natur
offenbar wird, weil, wie Boehmes Meister,
der seltsame Valentin Weigel, ausführte,
Gott nur durch die Weltschöpfung zu Gott
wird, darum ist die Welt kein Sein, sondern
ein Werden. Oder in Boehmes Worten:
»Also stehet jetzo noch auf heute alles
Ding in dem Schaffen.« So brauchen wir
die Welt nicht hinzunehmen, sondern wir
schaffen sie unaufhörlich. Die sogenannten
Naturgesetze, die das Gewordene be-
herrschen, sind nur Erleichterungen unseres
Zurechtfindens und nothwendige Kraft-
ersparnis unseres Denkens. Die Wirklich-
keit selbst aber ist neu an jedem Tage,
und an jedem Morgen bietet sie sich aufs
neue unseren gestaltenden Händen dar.
Wir schaffen die Welt schon dadurch,
dass wir unseren Wahrnehmungen unbe-
wusst die Concentration und Festigkeit
verleihen, die sie zu einer Wirklichkeit
machen, dadurch, dass in jedem Augen-
blick in uns ein unbewusstes Existential-
urtheil zu den Dingen, d. h. zu den
Sinneseindrücken, spricht: Dieses ist.
Aber tiefer und inniger schaffen wir sie
bewusst, indem wir unsere Kraft einfließen
lassen in das Werden, indem wir selbst
in das Weltschicksal eingreifen und ein
Element des großen Geschehens werden,
bis die Veränderungen, die unser Schaffen
weckte, selbst eine Quelle zahlloser neuer,
befreiender Sinneseindrücke vieler Wesen
geworden sind. So sind wir nicht die
Sclaven, sondern die Geliebten unserer
Welt, und »also stehet jetzo noch auf
heute alles Ding in dem Schaffen«.*
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