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Nach Boehmes Gefühl werden alle
Dinge durch zwei Grundkräfte bewegt:
die Kampf- und die Liebessehnsucht.
Aber ihm sind diese nicht die alten,
empedokleischen Mächte, die nichts mit-
einander gemein haben und die Welt
jeweilig von einem Extrem ins andere
zerren, je nachdem die eine oder die
andere Herr wird. Für Boehme sind
Kampf und Liebe Eines: Die Sehnsuchts-
Bewegung der Dinge zu einander, die
verschiedene Formen annimmt. Die Be-
wegung des Kampfes führt zum Individuum,
die Bewegung der Liebe zu Gott. Ich
möchte bei dieser eigenartigen Weg-
bestimmung ein wenig verweilen.
Kampf und Liebe sind nichts als
Sehnsucht. Die Verschiedenheit der Dinge,
die beide erzeugt, ist um der Sehnsucht
und der Bewegung willen da; »denn«,
so sagt Boehme, »so dieses nicht wäre,
so wäre keine Natur, sondern eine ewige
Stille und kein Wille; denn der Widerwille
macht die Beweglichkeit und den Urstand
des Suchens, dass die widerwärtige Qual
die Ruhe suchet und sich in dem Suchen
nur selbst erhebet und mehr entzündet.«
Der Kampf entfaltet das Einzelding
zur Persönlichkeit. »Es ist in der Natur
immer eines wider das andere gesetzt,
dass eines des andern Feind sei, und doch
nicht zu dem Ende, dass sich’s feind,
sondern dass eines das andere im Streite
bewege und in sich offenbare. Denn
so nur einerlei Wille wäre, so thäten alle
Wesen nur ein Ding, aber im Wider-
willen erhebet sich ein jedes in sich selber
zu seinem Sieg und Erhöhung; und in
diesem Streite stehet alles Leben und
Wachsen.« Die Liebe aber führt das Einzel-
ding der wiedergeborenen Krafteinheit zu.
»Ein jedes Wesen sehnet sich nach dem
andern, das Obere nach dem Untern und
das Untere nach dem Obern, denn es ist
von einander entschieden, und in solchem
Hunger empfahen sie einander in der
Begierde.« Dies aber ist nach Boehme
der rechte Weg zum neuen Gott, den
wir schaffen, zur neuen Einheit der Kräfte.
Diese Auffassung findet in einem Worte
Ludwig Feuerbachs ihre Bejahung und
Ergänzung. » Der Mensch für sich
ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); der
Mensch mit Mensch — die Einheit von
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Ich und Du — ist Gott.« Feuerbach
will die Einheit, von der er spricht, auf
die »Realität des Unterschiedes von Ich
und Du« gestützt sehen. Wir aber stehen
heute Boehme näher als der Lehre
Feuerbachs, dem Gefühle des heiligen
Franciscus von Assisi, der Bäume, Vögel
und Sterne seine Geschwister nannte und
noch näher dem Vedânta.
Für Boehme aber sind Kampf und
Liebe Versöhnungen und Überwindungen
des Zwiespaltes, Brücken zwischen dem
Ich und der Welt; der Kampf, weil in ihm
und durch ihn ein Ich das andere Ich ent-
faltet und in seiner Schönheit offenbart,
und die Liebe, weil in ihr die Wesen
sich zum Gotte vereinigen. Aus dem In-
einandergreifen beider entsteht das Leben,
in dem die Dinge nicht in starrer Ab-
geschiedenheit verweilen, aber auch nicht
mit einander verschmelzen, sondern sich
wechselseitig bedingen. Diese wechsel-
seitige Bedingtheit ist für Boehme mit
dem Bestehen alles Individuellen verknüpft.
»Nun aber« — sagt er — »vermöchte
sich eine Gestalt in der ewigen Geburt
allein nicht zu offenbaren, denn eine ist
der anderen Glied und wäre eine ohne
die andere nichts.«
Die Einheit aller Einzelwesen und
deren Verschiedenheit hängen mit einander
zusammen. Die Welt ist für Boehme eine
Harmonie individueller, in ihrer
Eigenart voll entfalteter Töne, die aber
von einer Bewegung geboren werden;
»gleichwie eine Orgel von vielen Stimmen
mit einer einigen Luft getrieben wird,
dass eine jede Stimme, ja eine jede Pfeife
ihren Ton gibt, und ist doch nur einerlei
Luft in allen Stimmen, welche in jeder
Stimme hallet, je nachdem das Instrument
oder die Orgel gemacht ist«.
Aber Boehme begnügt sich mit dieser
Brücke nicht, und dies ist es, worin er
sich uns am stärksten nähert. Ihn ver-
langt es nach einer tieferen Einheit. Es
ist nicht genug, dass das Ich sich der
Welt vereint. Das Ich ist die Welt. Das
ist aber nicht im Sinne Berkeleys ge-
meint, für den die Welt eine Reihe von
Affectionen eines Ich ist, noch auch im
Sinne Fichtes, der nicht das Individuum,
sondern die Ichheit überhaupt, »die Iden-
tität des Bewusstseienden und Bewussten«
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