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Wie eng Hypnose und mimische Kunst
verknüpft sind, hat der französische Ge-
lehrte A. de Rochas in seinem neuesten
Werke: »Les sentiments, la musique et
le geste« dargethan. Rochas zeigt hier
durch zahlreiche hypnotische Experimente
mit einer weiblichen Person eine ans
Wunderbare grenzende Wirkung der
Suggestion auf die menschlichen Gesten.
De Rochas brauchte nur in seiner Ver-
suchsperson Lina die Erinnerung an eine
bestimmte bekannte Persönlichkeit von
literarischer Bedeutung wachzurufen und
ihr einige Verse derselben oder anderes
vorzutragen, sofort nahm ihr Körper eine
dem Charakter dieser Persönlichkeit oder
dem Charakter des Vorgetragenen ent-
sprechende Pose von solcher Vollendung
und Wahrheit an, dass der bedeutendste
mimische Künstler kaum imstande gewesen
wäre, Vollendeteres zu leisten. Die Macht
der Suggestion war eine so gewaltige,
dass Lina, der die Vorstellung, sie sei
Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen, ein-
gepflanzt war, so entsetzliche Qualen litt,
dass ihr de Rochas schleunigst eine Gegen-
Suggestion geben musste. Ganz außer-
ordentlichwaren auch die physiognomischen
und mimischen Wirkungen, die de Rochas
durch die verschiedenen Arten der Musik
hervorbrachte. De Rochas machte u. a. auch
die höchst merkwürdige Entdeckung, dass
bei den charakteristischen Bewegungen
die unteren Körpertheile den
Rhythmus, die oberen die Melodie
ausdrückten, und zwar so, dass beide
Wirkungen gänzlich getrennt
von einander sich dem Beob-
achter zeigten.
Wir sehen also, ein wie mächtiger
Factor die Suggestion in der mimischen
Darstellung ist. Ich möchte nun noch
weiter gehen und will zu zeigen versuchen,
dass die Suggestion auch beim schaffenden
Künstler eine ganz bedeutsame Rolle spielt.
Wir wissen, dass ein Gedanke von
starkem Gefühlswert unseren sonstigen
Vorstellungs-Inhalt zurückzudrängen, unsere
Seele gewissermaßen zu betäuben und
unser Wesen in eigentümlicher Weise
zu maskieren vermag. Wir wissen ferner,
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dass die Wirkung solcher Gedanken so
tiefgreifend sein kann, dass sie über die
Sphäre des Geistigen hinausgreift und
der Vorstellung correspondierende Gesten
hervorruft. Ja noch mehr, wir wissen,
dass eine in der Hypnose suggerierte Vor-
stellung ihre Wurzeln ins Körperliche
schlagen und hier physiologische Ver-
änderungen hervorbringen kann, weshalb
die Hypnose zu Heilzwecken sehr gut zu
gebrauchen ist.
Aus dieser unbestreitbaren Thatsache
kann man nur den Schluss ziehen, den
auch du Prel und Andere daraus gezogen
haben, nämlich den Schluss, dass die Seele
das organisierende, stoffformende, körper-
erbauende Princip ist. Nun sehen wir
beispielsweise in der Hypnose, dass das
seelische Princip erst dann organisierend
und körpergestaltend in Thätigkeit und
Wirkung treten kann, wenn sich seine
ganze Kraft auf einen Gedanken concentriert
und der allgemeine Vorstellungskreis zurück-
gedrängt und unter die Schwelle des be-
wussten Lebens hinabgesenkt ist.
Jedoch nicht nur in der Hypnose be-
obachten wir eine solche Herabstimmung
des Wach-Bewusstseins, viel prägnanter
tritt sie uns noch entgegen im Geschlechts-
act, wo die Seele in ganz eminentem
Sinne ihre organisierende Fähigkeit und
Kraft offenbart und auf das neu zu er-
zeugende Wesen richtet. Der Geist bedarf
hier einer völligen Zurückziehung aus dem
bewussten Leben, daher die auto-suggestive
Betäubung auf dem Gipfelpunkt orgiastischer
Spannung und Ekstase. Also sowohl in der
Hypnose wie im Geschlechtsact beobachten
wir eine auto-suggestive* Verschleierung
des Bewusstseins zu Gunsten einer Vor-
stellung von starkem Gefühlswert. Die
Verwandtschaft beider Seelenzustände ist
sonach zweifellos vorhanden.
Gehen wir nun in dieser Richtung
weiter, so sehen wir, dass auch bei dem
neue Formen und neue Werte schaffen-
den genialen Künstler das Hervortreten,
die Geburt einer neuen Idee merkwürdiger-
weise von einer starken Herabminderung
des bewussten Tageslebens begleitet wird.
Auch hier stehen alle Gedanken unter der
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