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Man hat behauptet, nur die Produ-
cierenden wären imstande, das Product
zu bewerten. Das ist nicht richtig, da sie
oft sehr schlechte Beurtheiler sind. Edgar
Allan Poe war ein miserabler Kritiker,
Baudelaire dagegen ein Kritiker ersten
Ranges. Über diesen Punkt lässt sich nichts
sagen, das ist Temperamentsache. Man
hat auch gesagt: »Wozu überhaupt kriti-
sieren? Das Publicum wird sein Urtheil
fällen.« Diese Betrachtung ist von dem
jammervollen Schauspiel der kritischen Irr-
thümer gezeitigt worden; aber trotzdem ist
es nützlich, das Publicum zu erziehen.
Nicht das »Kritisieren« ist die Hauptsache.
Das ist öde und hohl — denn kritisiert
man, um den Verkauf eines Werkes zu
beeinflussen, so streift man an die Reclame;
geschieht es aber, um den Autor zu ehren,
so gibt man sich eine überflüssige Mühe,
denn hat er mit Überzeugung geschrieben,
so werden Lob oder Tadel der Kritiker
in seiner Seele oder seinem Charakter auch
nicht die geringste Veränderung hervor-
rufen. Die Rolle des wirklichen Kritikers
kann eine ganz andere, und zwar eine sehr
schöne sein.
Den Producierenden fehlt der weite
Blick für die Beurtheilung ihrer Schöpfungen
und ebenso für die Wirkungen, die sie auf
ihre Zeitgenossen hervorbringen wollten.
Sie schaffen, und damit macht ihr Können
Halt. Versuchen sie, bei ihrer Arbeit sich
selbst zu beurtheilen, so beeinträchtigen
sie ihre Auffassung und gerathen sehr
schnell auf einen gefährlichen Weg. Sie
brauchen niemand, der das Publicum ver-
anlasst, sie zu lesen, dazu genügt die
Reclame. Dagegen muss jemand da sein,
der dem Publicum und dem Autor klar
und deutlich sagt: »Hier berühren
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sich eure Geister und eure Seelen.
Du bist geschaffen, zu säen, du, zu ernten.
Da der eine geneigt ist, zu producieren,
und der andere, sich bessern zu lassen,
so sollet ihr diese beiderseitigen Bestre-
bungen nicht vergebens aufgewendet haben;
vereinigt eure Bemühungen und lernt euch
gegenseitig schätzen. Du kläre deine
Gedanken, und du widerstrebe nicht;
keiner von beiden aber lasse sich vom
Vorurtheil zurückschrecken.« Das ist die
wahre Rolle des Kritikers. Er kann
in der Zusammenwirkung der Ideen
unschätzbare Dienste erweisen und sich
sogar zu einer Aufgabe von wirklicher
Größe erheben! Wer aber behaupten wollte,
ein solcher Mann stände unter einem
Romanschriftsteller, würde ungerecht und
verblendet sprechen, denn es gibt ein
geistiges Niveau, wo die Entdeckung
der Hauptgründe der Gedanken-
association ebenso hoch zu bewerten
ist, als das Schaffen selbst.
Was ist ein Dichter? Ein Mann, der
imstande ist, zwischen den Formen und
Bildern der Natur Analogien und abstracte
Verbindungen zu finden, von denen man
bis dahin noch keine Ahnung hatte. Dieser
Dichter kann der wahre Kritiker sein, und
eben, weil sie sich zu dieser hohen Er-
kenntnis der Kritik durchgerungen haben,
sind große poetische Geister wie Baude-
laire, Carlyle, Mallarmé, auch gleich-
zeitig kritische Organismen ersten Ranges
gewesen. Die Analyse und Synthese ver-
banden sich ganz naturgemäß in ihnen.
Der Mensch, der zum Verständnis der
Gedankenverbindungen befähigt ist, kann,
wenn er sich darauf beschränkt, ein-
einfacher Literat bleiben, sich aber
auch, wenn er will, zu einem wirklichen
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